Der Vorstoß des CDU-Politikers Thorsten Frei, individuelle Asylanträge durch Kontingente zu ersetzen, stößt auf breiten Widerstand. Auch der Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland hält ihn für rein populistisch.
DOMRADIO.DE: Kritiker werten Thorsten Freis Vorschlag als einen Angriff auf den Schutz der Menschenrechte. Wie sehen Sie das?
Pater Claus Pfuff SJ (Leiter Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland): Aus meiner Sicht ist der Vorstoß des CDU-Abgeordneten Thorsten Frei, das individuelle Grundrecht auf Asyl abzuschaffen und in Europa eine Kontingentlösung einzuführen, vollkommen realitätsfern.
Der individuelle Anspruch verfolgter Menschen auf Aufnahme und Schutz ist in zahlreichen internationalen Verträgen festgelegt; die gelten auch für Europa. Das ist doch für unsere Gesellschaft wichtig, dass der einzelne Mensch im Mittelpunkt steht. Das Schicksal jedes Einzelnen muss gesehen und wahrgenommen werden und nicht eine anonyme Masse.
DOMRADIO.DE: Was würde es in der Praxis bedeuten, wenn individuelle Asylanträge abgeschafft und durch Kontingente ersetzt würden?
Pfuff: Es ist ja nicht das erste Mal, dass so ein Vorschlag, Kontingente einzuführen, vorgebracht wird. Bisher waren das stets politische Totgeburten. Aber unabhängig davon: Wir können Menschen nicht wie Kartoffelsäcke einfach über Quoten auf einzelne Mitgliedsstaaten in der EU verteilen.
Wichtig wäre dagegen, genau hinzusehen und festzustellen: Hat eine bestimmte Person schon Verbindungen zu einem EU-Staat? Hat er dort vielleicht Verwandte, Angehörige? Damit Menschen dort, wo sie hingebracht werden, auch gut ankommen und schnell Fuß fassen können, also sich integrieren können.
Eine Verteilung nach Kontingenten wäre dem nicht gerade förderlich.
DOMRADIO.DE: Aber selbst wenn man mit Kontingenten arbeiten würde, müsste jemand schauen, wer genau Asyl beantragen darf, oder?
Pfuff: Ja, man muss immer hingucken, wer da kommt. Man kann ja nicht einfach die ersten zehn einsammeln und die dann irgendwohin schicken. Auch im Falle von Kontingentlösungen müssten Verfahren vor Ort in den Herkunftsländern gewährleistet sein, in denen das Recht auf Asyl geprüft und unabhängig einschätzt würde.
DOMRADIO.DE: Sie haben bei Ihrer Arbeit in Berlin Tag für Tag mit Menschen zu tun, die Asyl beantragen, oft auch ohne reale Aussicht auf Anerkennung. Wie sehen Sie deren Situation?
Pfuff: Wenn bei uns ein Asylantrag abgelehnt wird, gibt es oft Gründe, weshalb eine Person trotzdem in Deutschland bleiben können sollte. Wir machen sehr oft die Erfahrung, dass Asylanträge aus rein formalen Gründen abgelehnt werden, ohne dass das individuelle Schicksal angemessen gewürdigt wird.
Vor allem in der Härtefall-Beratung erlebe ich immer wieder, dass ein Asylverfahren aus diesen Gründen mit Ablehnung endet.
DOMRADIO.DE: Was müsste denn passieren, damit besonders Asylbedürftige künftig bessere Chancen hätten?
Pfuff: Es gibt bereits verschiedene Modelle, die leider zu wenig eingesetzt werden. Zum Beispiel könnten die deutschen Botschaften humanitäre Visa erteilen, mit denen Betroffene hier einreisen könnten, ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen.
Ein anderes Beispiel sind die Flüchtlinge aus der Ukraine. Man lässt bestimmte Gruppen ohne Visum einreisen und gibt ihnen die Chance, auf sicherem Weg hierher zu kommen.
DOMRADIO.DE: Reale Chancen auf Umsetzung hat Thorsten Freis Vorschlag derzeit wohl nicht. Haben wir es also einmal mehr Populismus auf dem Rücken Asylsuchender zu tun?
Pfuff: Leider muss ich das bejahen. Ich denke, solche Diskussionsbeiträge vergiften die politische Atmosphäre und lösen kein einziges der realen Probleme. Papst Franziskus hat gesagt, dass Migranten keine Nummern sind, sondern Menschen mit Namen, Gesichtern und Geschichten. Das dürfen wir niemals vergessen. Und an dieser Erkenntnis sollte sich die Debatte orientieren.
Das Interview führte Heike Sicconi.