Kirchenasyl ist letzter, legitimer Versuch (ultima ratio) einer Gemeinde, Flüchtlingen durch zeitlich befristete Schutzgewährung beizustehen, um auf eine erneute, sorgfältige Überprüfung ihrer Situation hinzuwirken. Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, treten für Menschen ein, denen durch eine Abschiebung Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen, oder für die mit einer Abschiebung nicht hinnehmbare Härten verbunden sind. Zugleich setzen sie sich damit für das grundgesetzlich verankerte Recht auf Schutz von Menschenwürde, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit der Betroffenen ein.
(Erstinformation der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche).
Die Institution des Asyls hat religionsgeschichtlich eine lange Tradition. Kultstätten, Tempel und Kirchen boten einen Schutzraum für Verfolgte, seine Verletzung galt als Sakrileg. Seit der Spätantike kannte das kirchliche Recht das Asylrecht an heiligem Ort. Doch verschwand dieses Recht in dem Maß, in dem der moderne Rechtsstaat sich herausbildete und die Schutzfunktion übernahm. Zwar hielt der Codex Iuris Canonici von 1917 daran fest, dass sich die Kirche des Asylrechts „erfreue“ (can. 1179), doch dieses entfiel in der konziliaren Neufassung (1983). Es blieben freilich die „heiligen Orte“ (can. 1213), die Pflicht der Laien, „soziale Gerechtigkeit zu fördern“ (can. 222 § 2), und der Auftrag an die Pfarrer, sich den „aus ihrer Heimat Verbannten“ zuzuwenden (can. 529 § 1).
In Deutschland begann die Idee des Kirchenasyls in den 1980er Jahren wieder aufzuleben - inspiriert durch die ökumenische Sanctuary Bewegung in den USA. Flüchtlinge harrten mitunter jahrelang in Pfarreien oder Klöstern aus, um einer drohenden Abschiebung ins Heimatland zu entgehen. Die Behörden respektierten in der Regel ein Kirchenasyl. Trotzdem schreckten viele Gemeinden wegen der unvorhersehbaren Dauer zurück; die Zahlen bewegten sich im zweistelligen Bereich. In den letzten Jahren dagegen wurden bundesweit zwischen 1000 und 2000 Kirchenasyle registriert. Woran liegt das?
Im Gegensatz zu früher ist Kirchenasyl zeitlich überschaubar geworden. In den meisten Fällen droht nicht die Abschiebung des Flüchtlings in den Herkunftsstaat, sondern seine / ihre Rückschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat. Dafür gelten bestimmte Fristen. Nach der europäischen sog. Dublin-Verordnung ist derjenige Mitgliedstaat für ein Asylverfahren zuständig, in dem ein Flüchtling erstmals die EU betreten hat. Reist er / sie weiter in einen anderen Mitgliedstaat, kann dieser ihn / sie innerhalb einer bestimmten Frist zurückschieben. Nach Ablauf der Frist geht die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf den Staat über, in dem sich der Flüchtling aufhält.
Es drängt sich die Frage auf: Was ist so schlimm an einer Rückschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat? Sind das nicht alles sichere Drittstaaten? Berichte von betroffenen Flüchtlingen selbst wie auch von Hilfsorganisationen zeigen jedoch, dass die Bedingungen für Asylsuchende in einigen Mitgliedstaaten höchst prekär sind – sei es, dass sie in Obdachlosigkeit leben müssen oder Misshandlungen durch Behörden ausgesetzt sind. Zudem differiert die Anerkennungspraxis innerhalb der EU stark: Asylsuchende, die in dem einen Mitgliedstaat gute Chancen auf einen Schutzstatus haben, müssen in dem anderen mit Ablehnung rechnen. In einigen Staaten ist auch der Zugang zu einem fairen Asylverfahren gar nicht möglich. Die viel beschworene gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik gibt es (noch immer) nicht. Kirchenasyl kann in Einzelfällen solchen Ungleichheiten entgegenwirken. Durch Überbrückung der Dublin-Überstellungsfrist soll erreicht werden, dass Deutschland zuständig wird und dem / der Betroffenen ein faires Asylverfahren sowie eine menschenwürdige Unterbringung gewährt.