Eine Summer-School für zukünftige Akteurinnen und Akteure der sozialökologischen Transformation – wie bitte? Oder einfacher formuliert: Welt-retten für Anfänger. Fabian Moos SJ über seine Semesterferien der anderen Art.
Ich bin es gewohnt, dass die Leute keine Vorstellung davon haben, was die „sozialökologische Transformation“ sein soll – im Jesuitenorden, in der Kirche und darüber hinaus. Und warum ich mich als Jesuit gerade dafür engagiere. Ist das nicht etwas sehr Spezifisches, interessant nur für eine kleine Klientel von Weltverbesserern, die noch dazu wie wir alle in einer Welt leben, die sich eben partout nicht verbessern lassen will?
Was hat es mit dieser ominösen „Transformation“ auf sich? Nach Jahrzehnten intensiver Forschung um Klimawandel, Artensterben, Vermüllung der Welt, Versäuerung der Ozeane und vieler anderer menschengemachter Umweltprobleme ist vielen längst klar, dass das Projekt Menschheit in einer Sackgasse steckt. Wenn wir die immer dramatischeren Warnungen etwa des Weltklimarats vor schon in wenigen Jahrzehnten drohenden katastrophalen Bedingungen für menschliches Leben auf dem Planeten ernst nehmen wollen, sind wir herausgefordert, dieses Projekt völlig neu zu denken. Der Weltklimarat gibt als Zeitspanne, in der noch halbwegs funktionale radikale Umgestaltungen möglich sind, die Dekade bis 2030 an. Die Idee der sozialökologischen oder „Großen“ Transformation ist vor diesem Hintergrund die eines grundlegenden Umbaus unserer Wirtschafts- und Lebensweise hin zu wirklicher Nachhaltigkeit und mehr sozialer Gerechtigkeit. Denn auch die wachsende Ungleichheit ist ein großes Problem, das immer mehr soziale Spannungen auslöst. Die Transformation muss sozial-ökologisch sein. Die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich etwa hat gezeigt, dass eine Ökosteuer ohne ausreichenden sozialen Ausgleich nicht akzeptabel ist. Die Idee einer Transformation beinhaltet dabei eine Ablehnung des „Weiter so“ eines ungebremsten neoliberalen und hochgradig globalisierten Finanzkapitalismus (selbst wenn dieser etwas oberflächlich grün angestrichen wird). Sie wird aber als Prozess gedacht, der nicht vollkommen planbar ist, dessen genaue Zielgerade erst im Gehen nach und nach entsteht und bei dem man grundsätzlich von einem positiven Menschenbild ausgeht.
In Frankreich ist die Debatte über die Transformation bereits stärker in der Öffentlichkeit verankert. Die Jugendlichen von Fridays for Future; ein Manifest von 30.000 Studierenden, die eine radikale Reform der universitären Ausbildung im Sinne einer Transformation fordern; die „Convention Citoyenne pour le Climat“, eine von Präsident Macron einberufende Bürgerversammlung, die diesem im Juni ihre tiefgreifenden Umbauvorschläge unterbreitet haben; sowie eine ganze Reihe von öffentlichen Protesten, Petitionen und Aktionen zivilen Ungehorsams – all dies sind Beispiele, die Bände sprechen. Teilweise habe ich das Gefühl, einen kulturellen Wandel in Echtzeit zu erleben. Wobei man sich nicht täuschen sollte: Die Weichen sind auch in Frankreich nach wie vor auf „Weiter so“ gestellt. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich ein tatsächlicher Umschwung durchsetzt.
Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls der erstaunliche Zulauf zum „Transformationscampus“ (Campus de la Transition) in Forges südlich von Paris verständlich. Er wurde 2018 von Schwester Cécile Renouard, einer Philosophieprofessorin und Assumptionistin, gegründet und möchte Hochschulbildung für die Große Transformation anbieten, aber auch ein ökologisch-alternativer Lebensort und ein Drehkreuz der Begegnung für alle am Dialog interessierten „transformativ Aktiven“ sein. Dort engagiere ich mich seit knapp einem Jahr neben meinem Theologiestudium. Es ist ein spannender Ort am Schnittpunkt von Kirche und kirchenfernen Milieus.
Leider mussten wir coronabedingt für die Summer-School auf Online-Unterricht umsteigen. Inhaltlich orientierte sich der Kurs an den Ergebnissen des transdisziplinären FORTES-Projekts: Etwa 80 Forscherinnen und Forscher kamen mehrere Monate lang regelmäßig auf dem Campus de la Transition zusammen, um im Auftrag des französischen Hochschulministeriums ein umfassendes Weißbuch mit den wesentlichen Bildungsinhalten für die Große Transformation zu erstellen. Das Buch wird in mehreren Teilen ab September veröffentlicht werden und alle universitären Ausbildungsrichtungen abdecken – ein wahres Mammutprojekt. Es gibt Fragebereiche und wissenschaftlich fundierte inhaltliche Leitlinien vor – alle Details sind aber noch zu erfinden und sind der Umsetzung der einzelnen Hochschulen überlassen. Der Text ist institutionell und rechtlich nicht bindend, es ist aber davon auszugehen, dass er einen großen Einfluss auf die französische Hochschullandschaft haben wird.
Die 23 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Summer-School bekamen drei Wochen lang unterschiedliche Experten-Vorträge, lernten alternative Wirtschafts- und Unternehmensmodelle kennen, interviewten Akteurinnen und Akteure und entwerfen selbst in Gruppenarbeiten nachhaltige Projekte, die etwa für den Mobilitäts- oder Textilsektor ein Voranschreiten in Richtung eines resilienten und nachhaltigen Frankreichs vorwegnehmen. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden kam von einer der renommiertesten Business-Hochschulen Frankreichs, der ESSEC, die andere Hälfte sind junge oder bereits erfahrenere Berufstätige, die sich in Bezug auf ihre Karriere umorientieren wollen. Die sehr wichtige wirtschaftliche Perspektive ist allerdings nur eine unter vielen im „Weißbuch“ ausgearbeiteten Blickrichtungen. Gerade darum ist eine breite und transdisziplinäre Herangehensweise so wertvoll, da sie gängige ökonomistische Argumentationsformen dekonstruiert und aufzeigt, dass etwa fundierte Kenntnisse zum System Erde, die Hinterfragung einer rein mathematisch-logischen Vernunft oder die Betrachtung sozialer, ethischer und spiritueller Faktoren des Menschseins zu anderen und womöglich besseren Ergebnissen führt.
Was meine Rolle angeht, so habe ich gemeinsam mit zwei weiteren Teammitgliedern die Summer-School begleitet – es ging um die technische Bereitstellung und Moderation der Videokonferenzen und der Gruppenarbeitszeiten, aber vor allem um einen sehr wohlüberlegten pädagogischen Rahmen. So haben wir z.B. viele Gruppenspiele angeleitet, um ein gegenseitiges Kennenlernen und eine Gruppendynamik zu erreichen, aber auch explizite stille Zeiten eingebaut, in denen die Teilnehmenden ihre Notizen durchgehen und für sich das Wesentliche herausfiltern sollten. Viel Austausch zu zweit und in Kleingruppen, das Führen eines persönlichen Logbuchs, Musik in den Pausen, Qi Gong oder Yoga nach der Mittagspause, morgens ein weisheitlicher Text und ein Spiel zum Wachwerden, auf Wunsch Begleitgespräche mit Einzelnen… All das hat online erstaunlich gut funktioniert, auch wenn das Eintauchen in den konkreten Ort des Campus de la Transition nur teilweise ersetzt werden konnte.
Ich habe im Rahmen der Summer-School auch zum ersten Mal ein zweiteiliges Seminar des „Works that reconnects“ nach Joanna Macy mitbegleitet, was mir viel Freude gemacht hat. Dabei geht es um die emotionale und spirituelle Aufarbeitung der beängstigenden Gesamt-Situation der Welt, gegen die wir uns im Alltag oft abschirmen. In einem wohlwollenden Rahmen können bestimmte Einzel- und Gruppenübungen dabei helfen, sich in der Dankbarkeit zu verwurzeln, die negativen Emotionen anzunehmen und positive Energie freisetzen, um sich für eine lebbare Welt zu engagieren. Im Allgemeinen macht mir die Begleitung der jungen Menschen in Ausbildung sowie der Älteren, die sich umorientieren, sehr viel Hoffnung: Die Welt von morgen ist bereits im Entstehen, und es ist ein spannendes Abenteuer, selbst an dieser Welt mitzubasteln. Es bleibt mehr als offen, ob die Transformation gelingen wird. Die Zeit drängt, die Aufgabe ist riesig, keiner weiß so richtig, wie es gehen soll. Wenn ich mich dafür engagiere, dann aus dem Glauben heraus, dass Gott diese Welt retten will, dass sein Rettungsprojekt sogar bereits einen definitiven Anfang gesetzt hat – wir aber sind eingeladen, in sein Wirken einzuschwingen und unseren Beitrag zu leisten. So verstehe ich auch die Enzyklika Laudato Si und die vierte Präferenz meines Ordens: „In der Sorge für das Gemeinsame Haus zusammenarbeiten“. Als Christ kann ich mich an der Lebensweise Jesu, an seinem Einsatz für Versöhnung, an seiner Weise, die Liebe zu leben, orientieren. Seine Auferstehung verheißt, dass auch Leiden und Tod nicht das letzte Wort haben. Und es ist mehr als wahrscheinlich, dass davon noch einiges auf uns zukommen wird. Die Liebe lohnt sich aber immer, unabhängig von ihrem Erfolg. Was ein Leben aus Hoffnung angeht, kann ich mich dabei durchaus auch von nicht-christlichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern inspirieren lassen: Wer heute froh, mutig und vertrauensvoll seine berufliche und private Zukunft in die Waagschale der Großen Transformation wirft, zeigt, welch großartige Berufung uns Menschen gegeben ist und wie vielfältig man sie leben kann.
Etwas für Weltverbesserer war die Summer-School also durchaus – ich würde aber den Vorwurf der Weltfremdheit für die Teilnehmenden zurückweisen. Diese Generation von Weltverbesserern sucht und lebt eher eine neue Weise von Weltverbundenheit.