• Martin Föhn SJ
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Handlungsfähigkeit durch Verankerung in Gott

Ist die Furcht nur ein Feind? Oder kann sie in Verbindung mit Gott fruchtbar werden? Wer sich mit der Zukunft, dem Klimawandel und dem Verlust der Biodiversität ehrlich auseinandersetzt, der bekommt es natürlicherweise mit der Angst zu tun. Unsere Existenz betreffende Veränderungen machen Angst.

Gethsemane

Der einzige Moment in der Bibel, in der Jesus Angst bekam, war im Garten Gethsemane als er die Gefangennahme und den Tod klar vor Augen hatte. Ich bin der Überzeugung, dass es nicht übertrieben ist, seine Situation mit der unsrigen Heute zu vergleichen.

Bei grosser unmittelbarer Angst werden die Funktionen im Gehirn auf das Stammhirn konzentriert. Der Mensch reagiert dann, wie alle Tiere, normalerweise mit einem der drei Muster: Todesstarre, Flucht oder Angriff. Jesus tut nichts dergleichen, er bleibt vernünftig, ruhig und normal handlungsfähig. Wie schafft er dies, trotz Todesangst? Schauen wir uns dazu den Text an.

Im Lukasevangelium heisst es: "Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen. Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm (neue) Kraft. Und er betete in seiner Angst noch inständiger und sein Schweiss war wie Blut, das auf die Erde tropfte. Nach dem Gebet stand er auf, ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend; denn sie waren vor Kummer erschöpft. Da sagte er zu ihnen: Wie könnt ihr schlafen? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet!" Lk 22,42-46.

Jesus ist sich bewusst, dass er gleich gefangen genommen und wahrscheinlich gefoltert und getötet wird. Seine Gedanken bleiben aber nicht bei der Folter und dem Tod. Seine Aufmerksamkeit richtet er mit aller Kraft auf Gott, seinen Vater. Er betet. Das Gebet, das ihn mit Gott verbindet, gibt ihm so viel Kraft, dass er trotz Todesangst handlungsfähig bleibt.

Die Kraft des Gebets

Ich stelle mir das gerne so vor: Das Gebet ist wie ein Anker mit einer Kette, der nach Gott ausgeworfen wird. Der Anker verhakt sich in Gott, irgendwo tief unten im dunkeln Wasser. Im Gebet spüren wir hin zur Kette, zum Anker, zu Gott. Die Kette strafft sich, sie hält. Das Boot, in dem ich sitze, beginnt sich zu bewegen. Ein Sturm kommt auf und es wird immer heftiger. Wenn meine Aufmerksamkeit zum Sturm und den hohen Wellen hinwandern, kriege ich es mit der Angst zu tun (vgl. Mk 4,35-41; Mt 14,25-31). Wende ich mich mit meinen Gedanken zur Kette und gehe im Gebet der Kette entlang nach unten zum Anker und zu Gott, so kehrt wieder Ruhe ein. In der Tiefe ist Gott wie ein Fels; er ist es, der mich hält.

Der Engel Gottes, der kommt und Jesus stärkt, ist eine real existierende Kraft. Das Gebet, die Kette, der Anker halten mich in Gott trotz stürmischer See. Der Engel nimmt Jesus nicht die Angst weg. Sie bleibt, doch sie ordnet sich unter.

Bei den Jüngern ist es nicht so. Sie sind vor Kummer erschöpft in den Schlaf geflohen. Sie wollen das Kommende nicht sehen und weichen ihm aus, durch Schlaf, Rationalisierung, Verleugnung, etc. Jesus fordert sie auf zum Gebet. Er fordert eine Grund-Handlung, die den Menschen befähigt, trotz extremer Belastung handlungsfähig zu bleiben.

In neurobiologischer Sprache ausgedrückt kann ein Gebet, welches wirklich auf Gottes Rückhalt vertraut, den Hormonhaushalt im Gehirn regulieren. Es bringt die Neurotransmitter in die richtige Position, damit das Gehirn bei Höchstleistung funktionieren kann und nicht von Norepinephrinen geflutet wird, was zu den drei oben aufgeführten tierischen Stressreaktionen führt.

Handlungsfähig bleiben

Das entscheidend andere, das wir als als Christinnen und Christen beitragen können, ist das Gebet, damit wir inmitten der Angst vor einer unsicheren Zukunft besonnen und produktiv handeln. Damit das Gebet seine Wirkung voll umfänglich entfalten kann, braucht es die Erfahrung, dass es wirklich trägt und hält. Diese Erfahrung wiederum kann nur gemacht werden, wenn man es wagt, den Anker in die Tiefe zu werfen und nachspürt, ob er hält. Entscheidend ist, dass man im Gebet dranbleibt. Das Gebet braucht Pflege, wie die Kette und der Anker. Wenn die Aufmerksamkeit auf der Verbundenheit mit Gott bleibt, auch in ruhigen Zeiten, dann kann die Kette verstärkt werden und sie wird in stürmischen Zeiten sicheren Halt bieten.

In ihrem Buch "Flow@Work" beschreibt Friederike Fabritius, dass es drei Elemente braucht, um in produktives und zutiefst erfüllendes Handeln zu kommen. Es sind dies Freude, Furcht und Fokus. "Finden Sie das richtige Niveau von Freude und Furcht und der Fokus wird sich von selbst einstellen" (S.100). Freude setzt den Neurotransmitter Dopamin frei. Wird unser Gehirn damit überflutet, denken und lernen wir schneller. Für das beste Leistungsniveau braucht es allerdings noch mehr, und zwar eine geringfügige Überforderung.

Wenn Furcht da ist, zum Beispiel etwas vielleicht nicht zu schaffen, wird Norepinephrin ausgeschüttet. Sie kennen vielleicht das berauschende Gefühl, nachdem sie Barfuss durch den Schnee gerannt sind. Dieser köstliche Kick, den wir erhalten, wenn wir etwas tun, das ein wenig gefährlich ist, ist Norepinephrin. Zuviel davon schaltet jedoch das vernünftige Denken aus.

Wollen wir produktiv sein und gleichzeitig grosse Erfüllung empfinden, dann gilt es, den richtigen Stresspunkt zu finden. Dieser ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Entscheidend ist, sich bewusst zu sein, dass ein gewisser Anteil an Furcht dazugehört.

Auf die Verkündigung bezogen bedeutet dies: Gott wird uns die Furcht nicht nehmen. Manchmal braucht es sogar ein wenig Furcht, um in unser volles Potenzial zu kommen. Entscheidend ist Folgendes: Wenn wir auf Gott ausgerichtet bleiben, wird er uns die Kraft und den Halt geben, trotz grosser Angst handlungsfähig zu bleiben und in Liebe und Klarheit voranzuschreiten, so wie es Jesus getan hat.

Von P. Martin Föhn SJ

Der Beitrag ist erschienen in: SchöfpungsZeit 2023 Arbeitsdokumentation «Für das Klima hoffen, heisst handeln»

Bild 1: adobe/Bro Vector

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