Anfang August hatte der Generalobere der Gesellschaft Jesu P. Arturo Sosa SJ anlässlich der Tagung der International Association of Jesuit Universities (IAJU) eine Rede gehalten, in der er sich mit Unterscheidungsvermögen in einer politisch herausfordernden Zeit befasste. Jetzt hat die Curie in Rom die Rede im spanischen Original und in englischer Übersetzung veröffentlicht.
P. Sosa SJ stellte in seinem Vortrag die Frage, ob Menschen, die in einer demokratischen Kultur aufgewachsen und überzeugt seien, dass die Bürger Quelle aller politischen Macht seien und ein System der gegenseitigen Kontrolle funktioniere, die überall wachsende Tendenz zu Autokratien überhaupt richtig verstünden. „Sind wir darauf vorbereitet“, fragte er, „als Gesellschaft, als Orden, als Universitäten?“
Der Generalobere beschrieb die gegenwärtige Tendenz, die darauf abziele, die Grundlage der politischen Legitimität neu zu formulieren und Demokratie zu verwässern durch drei „Ps“: Populismus, Polarisierung und Post-Wahrheit. Sie breiteten sich in verschiedenen Ländern in einem solchen Ausmaß aus, dass man sich um die Demokratie sorgen müsse. Es sei inzwischen wissenschaftlich gut belegt, wie Populismus die authentische Ausübung des Volkswillens entwerte, wie er die Zivilgesellschaft schwäche und die Funktion der politischen Parteien behindere. Der Populismus nehme einen demagogischen Charakter an, der es ihm erlaube, demokratische Strukturen zugunsten eines Autokraten beiseitezuschieben, der schlichtweg behauptete, der authentische Interpret des Volkswillens zu sein und der Einzige, der diesen vorgeblichen Volkswillen durch den Einsatz politischer Macht umzusetzen vermöge.
Sobald dieser Autokrat die Macht erlangt habe, oft genug unter Ausnutzung der Bedingungen demokratischer Mechanismen, versuche er, seine Macht zu zementieren: durch die Polarisierung der Gesellschaft und die Unterstützung von Anhängern, die sich oft wie fanatische Fans einer Sportmannschaft verhielten. Auf diese Weise werde der Diskurs über Ideen beendet, weil der Kurs des Autokraten nicht mehr angezweifelt werden dürfe. Er sei nun die einzige Stimme und das einzige Gesicht der Regierung und des Staates. Alle Bürger und Organisationen, die nicht zu seiner Fangemeinde gehörten, gälten als Feinde, die neutralisiert oder sogar eliminiert werden müssten.
Die Kommunikationsmedien verstärkten diese Tendenz, indem sie das politische Narrativ nur auf diese Personen konzentrierten, und nicht länger auf den Diskurs von Inhalten. Die sozialen Netzwerke schwächten zusätzlich die traditionelle Vermittler- Kritik- und Überprüfungsfunktion der freien Presse als Gatekeeper kollektiver Narrative.
Für Universitäten liege die besondere Herausforderung im dritten „P“, der Post-Wahrheit, der verwirrten Begriffsbildung, der Desinformation und der unkontrollierbaren Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien. Diese Post-Wahrheit habe, so der Generalobere, eine solche Manipulationsfähigkeit, dass sie systematisch Wissen und die Verbreitung von Fakten blockieren könne. Damit verwandle die Post-Wahrheit „Realität“ quasi in ein Instrument der Herrschaft und des Regierens.
Autokratische Regime, die auf Populismus, Polarisierung und Post-Wahrheit setzten, erzeugten häufig eine Atmosphäre, in der stets alles angezweifelt werde, außer dem Wort des Autokraten. Solche Regime nährten die Unsicherheit darüber, was im persönlichen, familiären oder beruflichen Leben passieren könnte. Diese Furcht der Menschen führe zu politischer Lähmung oder zur Resignation angesichts dessen, was unabänderlich erscheine. Der Trend zur Individualisierung komme dem entgegen und könne zu einer Haltung gegen jegliche Politik, gegen jedwedes Engagement für das Gemeinwohl führen. Auf diese Weise werde „Staatsbürgerschaft“ sehr effektiv geschwächt, und gerade das sei eine schwerwiegende Bedrohung der Demokratie.
Diese Zeichen der Zeit zu lesen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, dafür sei, so der Generalobere, Unterscheidungsvermögen vonnöten. Jesuiten verfügten mit der Unterscheidung der Geister über ein bewährtes und geeignetes Mittel, diesem Trend entgegenzuwirken. Gerade Universitäten trügen die Verantwortung, Wahrheit von den Unwahrheiten zu unterscheiden, mit denen Autokraten so gerne spielten. Wenn Hochschulen verstärkt zu Räumen der Unterscheidung würden, könne das helfen, die Tendenzen zur Autokratie in vielen demokratischen Ländern zu überwinden.
Hier lesen Sie den gesamten Wortlaut im spanischen Original.