1 / 5

Fremd bin ich eingezogen

Ohne zu wissen, was uns erwarteten würde, folgten wir am Samstag der Einladung des JRS in die Canisius-Kirche, deren Besuch sich schon aus architektonischen Gründen immer wieder lohnt und die bis auf den letzten Platz besetzt war. "Fremd bin ich eingezogen" war der Titel des Abends, der sich zu weitaus mehr als einer musikalischen Darbietung entwickeln sollte. Die angekündigte "interkulturelle Neuinterpretation von Franz Schuberts Winterreise" wurde von großartigen Akteuren umgesetzt und ihrem Ziel gerecht: Die Melancholie, Einsamkeit, Fremdheit und das Nicht- Gesehen-Werden geflüchteter Menschen in Klänge und Worte zu fassen. Wir haben bei weitem nicht alles verstanden, denn es wurde sowohl in deutscher als auch in persischer Sprache gesungen, gelesen und gesprochen - interkulturell eben. Aber wir haben alles erspüren können, genauso wie die vielen Menschen um uns herum. Die Melancholie der Musik und die tiefe Traurigkeit, die in den eingelesenen, von Geflüchteten verfassten Texten zum Ausdruck kamen, hinterließen ein nachdenkliches und bewegtes Publikum, das erst durch die minutenlangen Standing Ovations aus der Betroffenheit und Kontemplation zurückzufinden schien.

Wir bedanken uns für einen großartigen Abend, der aus einer "Sicht auf die Dinge" ein "Gefühl für die Dinge" gemacht hat. Und der definitiv auf die große Bühne gehört.

Christine V.

 

Kürzlich waren wir zu einem beindruckenden Konzert in der katholischen Kirche St. Canisius eingeladen, das vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland (JRS) organisiert wurde. In  diesem schönen spirituellen Raum wird Religion frei und ungestört praktiziert. Das christliche Menschenbild sieht den Menschen als gleichwertig und gleichwürdig und begreift ihn als ein zur Freiheit berufenes Geschöpf.

Schubert war als Fremder in das Haus der Geliebten gekommen, als Fremder verließ er es. Das asambura-Ensemble nimmt diese existenzielle Situation auf und verbindet in seiner Neukomposition Fremd bin ich eingezogen Schuberts Liedfragmente mit persischen Gedichten über Fremdheit, Flucht, Sehnsucht und Einsamkeit zu einem neuen Zyklus. Dazwischen wurden bewegende Kurzgeschichten von Flüchtlingen vorgelesen, die von ihren Erfahrungen daheim, auf der Flucht und von ihrem Leben in der Fremde erzählen.

Musik hört man und kann sie auch sehen. Es war schön, den Musiker:Innen dabei zuzusehen, wie sie virtuos ihre Instrumente und Stimmen einsetzen, um aus Noten Klänge zu  erzeugen, die Luft und Hörer in Schwingung versetzen. Junge sympathische Menschen unterschiedlichster Herkunft haben sich zusammengefunden, um gemeinsam aus altem Kulturgut neues zu entwickeln, das fruchtbaren Boden für Verstehen und Verständnis zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Prägung schafft. Der Abend zeigte die Vision einer Welt, wohin sie sich im Guten entwickeln könnte: Zu harmonischer Einheit in Vielfalt. Es machte große Freude, ihnen beim Musikspielen zuzuschauen: Da war die deutsche Opernsängerin mit afrikanischen Wurzeln und die persische Sängerin mit bezauberndem Gesang, die sich im geschützten Raum ihrer menschlichen Natur gemäß offen und frei - unverhüllt - zeigen konnten, um uns an einer jahrtausendealten Kultur teilhaben zu lassen. Ohne die Worte zu verstehen, verstand man doch die Botschaft. Vielfalt zeigte sich auch bei wohlklingenden, uns unbekannte Instrumenten wie die persische Flöte und Oud.

Das asambura-Ensemble spielte Musik auf hohem Niveau in einem komplexen Klangteppich, der alles miteinander verband und verdeutlichte, dass Kunst und Kultur Gegenstand des Verstehens und der Verständigung sind. Die Erlebnisberichte junger Flüchtenden trafen mitten ins Herz. Wir leben in einer Zeit, in der die Fliehkräfte immer größer werden, während die Bindungskräfte schwinden. Diese jungen Menschen zeigten, was möglich ist, wenn Menschen gemeinsam, kreativ und konstruktiv, freudvoll eine positive Zukunft gestalten.

Klaus Z.

 

Fotos: Jasper Kortmann

Das asambura-Ensemble verband in der Neukomposition FREMD BIN ICH EINGEZOGEN Schuberts Liedfragmente mit persischen Gedichten über Fremdheit, Flucht, Sehnsucht und Einsamkeit zu einem neuen Zyklus. In enger Zusammenarbeit des deutschen Komponisten Maximilian Guth, dem persischen Santur-Virtuosen und Komponisten Ehsan Ebrahimi und dem persischen Sänger Mehdi Saei wurden persische Gedichte von Saadi, Akhavan-Sales und Moayyeri ausgewählt, in denen unendliche Trauer und Einsamkeit thematisiert werden, aber auch die Perspektive einer gemeinsamen Suche nach Zugehörigkeit.
Texte von Geflüchteten, gelesen von Pater Breulmann SJ und Eva-Maria Höller-Cladders, ergänzten die Musik und boten Einblicke in ihre Erfahrungen.

Partner

Spenden

Das Magazin „Jesuiten“ erscheint mit Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bitte wählen Sie Ihre Region aus:

×
- ×