• Valerio Ciriello SJ
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Eco Summer Camp 2023: "Die einzige Revolution, die gelingen wird, ist die in unseren Herzen."

Zum dritten Mal fand im Lassalle-Haus in der Schweiz das ECO Summer Camp statt, ein einwöchiger Austausch über die sozial-ökologische Transformation im Großen und eigene Lösungsansätze im Kleinen. Ziel ist nichts weniger als die Veränderung der Welt. Wie kann das funktionieren? Ein Interview mit dem Jesuiten Valerio Ciriello über Klimakrise, Revolution und was das Leben wirklich verändern kann.

Was ist die Grundidee des ECO Summer Camps?

Die Idee basiert auf der Feststellung, dass wir heute zwar sehr genau wissen, wie schlecht es um die ökologische und soziale Situation der Welt bestellt ist und dass wir auch sehr genau benennen können, was wir ändern müssen, aber dass wir es trotzdem nicht hinreichend tun. Und damit meine ich nicht nur die Politik, sondern jeden einzelnen: Wir fliegen dann doch zum Baden ans Mittelmeer, essen zu viel Fleisch usw. Im konkreten, persönlichen Bereich fällt den meisten Menschen die Revolution, die die Welt benötigt, oft sehr schwer. Reines Wissen hilft nicht, um große Veränderungen herbeizuführen. Das ist der Ausgangspunkt des ECO Summer Camps: Wie können wir die sozial-ökologische Transformation, von der wir wissen, wie notwendig sie ist, in Bewegung bringen?

Und zwar wie?

Damit wir aktiv werden, muss etwas anderes als nur der Verstand in uns berührt werden. Der Anschub für persönliche Verhaltensänderung muss woanders erfolgen, und zwar auf der Beziehungsebene. Wenn Menschen sich austauschen, diskutieren, reiben, auch streiten, wenn sie sich inspirieren lassen von anderen, Konsens suchen, Dinge verabreden, und sich dem anderen gegenüber verantwortlich fühlen, sie auch umzusetzen, dann wird aus dem rein rationalen ein holistischer Ansatz der Veränderung. Jede Umkehr, um einen evangelischen Begriff zu gebrauchen, findet immer in der Begegnung auf Augenhöhe mit anderen Menschen statt, und nicht indem man den anderen auf den Splitter in seinem Auge aufmerksam macht.

Wieso reicht das reine Verstehen eines Problems oft nicht für wirkliche Veränderung?

Weil wir als Mensch neben dem Kopf auch Hände und Herz haben, und ich auf allen Ebenen angesprochen sein muss, um wirklich etwas zu verändern. Das ist der Grund dafür, dass Papst Franziskus in der Enzyklika Laudato si' von der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen spricht. Jeder von uns kennt an sich Verhaltensweisen, die er eigentlich ab- oder umstellen sollte. Und es trotzdem nicht tut. Der Kopf allein reicht dafür nicht, auch nicht bei uns Jesuiten. Und man kann Veränderungen im Herzen der Menschen auch nicht erzwingen, weder durch Einsicht, erst recht nicht durch Vorschriften oder Zwang.

Was hemmt uns?

Oft ist es das mangelnde Vertrauen, die mangelnde Zuversicht, dass wir noch in der Lage sind, das Ruder herumzureißen. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Religiös betrachtet sind wir zu oft sehr kleingläubig, und erlauben Sie mir ein Zusatz: auch sehr kleinkariert. Jesus aber ermuntert uns zu großem Glauben: habt Vertrauen, habt keine Angst. Das sind die Grundvoraussetzungen, um uns von unseren kleinen und großen Sicherheiten zu befreien, damit wir als wahrhaftig freie Menschen wachsen und leben können.

Das ist das Grundkonzept des ECO Summer Camps?

Ja, es soll eine Woche sein, die das Leben der Teilnehmer verändern kann. Das ist ein bisschen vergleichbar mit den spirituellen Exerzitien, in denen wir auch durch bestimmte Formate die innere Bühne frei räumen und schauen, was sich dann in uns entwickelt, was in uns ruft. Einen solchen Prozess wollen wir auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Summer Camps ermöglichen.

Wie funktioniert das?

Indem wir sehr verschiedene Formate der Begegnung und des Austausches anbieten. Das beginnt damit, dass alle Referierende da bleiben und mindestens einmal übernachten, manche bleiben sogar die ganze Woche. Sie halten nicht nur einen Vortrag und fahren dann gleich wieder, sondern stehen weiter für den Austausch zur Verfügung. Dann gibt es nicht nur die üblichen Vorträge und Workshops, sondern auch Spaziergänge, Exkursionen, verschiedene Dinner- und Cocktailformate, Podiumsdiskussionen, Lagerfeuergespräche Reflektions-Angebote. Ziel ist es, dass möglichst viel Begegnung und Austausch auf Augenhöhe stattfindet, und zwar in beiden Richtungen: die Experten auf der einen Seite und die Teilnehmer auf der anderen haben sich etwas zu sagen, und dafür wollen wir den Raum schaffen. So können sie sich wechselseitig inspirieren, und es entstehen Beziehungen, anstatt den anderen nur auf sein Wissen zu reduzieren.

Wer nimmt am Camp teil?

Insgesamt sind es in diesem Jahr rund fünfzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Gruppe ist sehr heterogen. Wir hatten Bewerbungen aus 16 Ländern, und es sind nicht nur junge Leute. Ein Viertel ist älter als 35, es sind auch Rentner dabei. Christen sind in der Minderheit. Das politische Spektrum reicht von bürgerlich bis progressiv. Jedes Milieu, jeder Lebensentwurf ist willkommen und bereichert den Austausch.

Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Sicher ist da zunächst meine persönliche Motivation. Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr Mitglied der italienischen grünen Partei, auch wenn die bei weitem nicht die Relevanz erlangt hat wie etwa die Grünen in Deutschland. Aber ich war nie besonders aktiv. Was mein Leben verändert hat, waren Begegnungen während meines Theologie-Studiums in Paris, insbesondere mit Schwester Cécile Renouard und mit meinem Mitbruder Gaël Giraud. Die haben mir den Ansporn gegeben, mich mit der sozial-ökologischen Transformation auseinanderzusetzen. Ich habe gelernt, dass es die Begegnung und die Beziehung zu anderen Menschen ist, die einen Menschen und damit die Welt verändern kann – nicht theoretische Konzepte und noch weniger ideologische Kämpfe. Denn ein Großteil unseres Verhaltens läuft eben nicht auf der rationalen Ebene ab, sondern im Unbewussten, auch im Emotionalen.

Ist die sozial-ökologische Transformation eine emotionale Angelegenheit?

Nicht, was die Fakten angeht. Aber wenn wir sie wirklich zum Laufen bringen wollen, eher schon. In unserer immer stärker polarisierten und zersplitterten Gesellschaft brauchen wir nicht noch mehr Spaltung, keine weiteren ideologischen Kämpfe, keine Einteilung in Gute und Böse. Was wir brauchen, damit die Transformation gelingen kann, sind Liebe und Weisheit. Man muss dem oder der Gegenüber wirklich begegnen wollen, ihn oder sie annehmen – und nicht bekämpfen. Die einzige Revolution, die gelingen wird, ist die, die in unseren Herzen stattfindet – nicht auf den Straßen!

Ein interessanter Gedanke.

Schauen Sie sich Revolutionen an, die allein auf dem Verstand basierten, auf der Analyse eines Problems und der Festlegung eines Ziels, die Französische Revolution etwa, auch die leninistische in Russland. Solche Revolutionen, auf den Straßen der Geschichte, verändern den Menschen nicht nachhaltig. Irgendwann fressen sie dann ihre eigenen Kinder. Nicht Konzepte verändern die Welt und noch weniger Ideologien, sondern am Ende ist das ein ganz persönlicher, auch spiritueller Weg eines jeden einzelnen. Dazu kommt, dass der Mensch als soziales und politisches Lebewesen, wie es bereits Aristoteles sagte, die Beziehung zu den anderen suchen soll, um das Potenzial seines eigenen Wesens vollumfänglich entfalten zu können. Zu Gunsten aller!

Wie sehen Sie dann die Revolution, wie sie die Letzte Generation derzeit versucht?

Darüber könnten wir lange diskutieren, aber wenn ich ehrlich bin: eher skeptisch. Ich sehe hier einen eher prohibitiven Ansatz, der moralische Vorschriften macht. Eine klare Trennung zwischen Gut und Böse. Genau das aber ist letztendlich Ideologie, und Ideologie verschließt die Herzen eher, als dass sie sie öffnet. Wir wollen beim Eco Summer Camp das Gegenteil: keine Radikalisierung, keinen Prohibitionismus, keine Moral-Predigten, keine Polarisierung. Sondern Veränderung der Menschen in ihrem Inneren und in der Beziehung zu anderen. Dort ist der Raum für Revolution. Dazu passt der Satz von John F. Kennedy: That in the past, those who foolishly sought power by riding the back of the tiger ended up inside. Wer so verrückt war anzunehmen, den Tiger reiten zu können, endete allzu oft in ihm.

Für eine Herzensrevolution, wie Sie sie beschreiben, reicht eine Woche Summer Camp?

Nein. Aber wir erwarten auch nicht reihenweise Saulus-Erlebnisse, sondern wir wollen im Summer Camp möglichst viele Senfkörner setzen, die dann wachsen. Und wir arbeiten auch an einem dauerhaften Format, um das Netzwerk, das durch die Camps entsteht, zu erhalten, und weiteren Austausch zu ermöglichen. Wir denken auch an lokale Gruppen mit jeweils eigenen Dynamiken.

Sie bitten alle Teilnehmer am Ende, einen Brief an sich selbst zu schreiben mit den Veränderungen, die sie vorhaben. Sechs Monate nach dem Camp schicken Sie die verschlossenen Briefe an die Teilnehmer. Was könnte in Ihrem Brief an sich selbst stehen?

Weniger reden, mehr tun. Und im Tun mehr Konsistenz und Kohärenz mit dem eigenen Sein.

Eco Summer Camp - mehr erfahren!

Interview: Gerd Henghuber

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