• P. Felix Schaich SJ
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„Das Zukunftsdenken ist durchgerüttelt“

Sinnsuche boomt, verstärkt seit der Pandemie. Junge Leute fragen nach einem erfüllten Leben. Innsbruck hat mit der „Zukunftswerkstatt“ der Jesuiten einen Ort bekommen, an dem diese Lebensfragen Raum finden.

Von Michaela Hessenberger

„Die Pandemie hat klassische Lebenswege erschüttert und das Zukunftsdenken ordentlich durchgerüttelt.“ Das sagt Sara Kodritsch, Klinische Psychologin in Graz. Ausbildung, Karriere und Kinder in genau dieser Reihenfolge? Fehlanzeige. Die Generation Z, also die zwischen 1995 und 2010 Geborenen, lebt vielmehr im Hier und Jetzt, als in der Zukunft. „Die meisten haben noch lange nicht das Leben, das sie sich für sich wünschen, sondern sind oft finanziell abhängig und deshalb fremdbestimmt. Das kann streckenweise auch Angst machen.“

Eine gewisse Orientierungslosigkeit, Entscheidungsschwierigkeiten angesichts allzu vieler Möglichkeiten und ein Prokrastinieren als Ausdruck dessen, sich viele Optionen möglichst lange offen zu halten, verortet Pater Felix Schaich bei jungen Menschen. Er leitet die „Zukunftswerkstatt Innsbruck“. Motto: „Stell die Welt auf den Kopf, um dich zu suchen und zu finden.“ Auf Tiroler Gebiet hat der Jesuitenorden 2020 nach Frankfurt seinen zweiten Standort eröffnet. Rund 30 Personen besuchen die „Zukunftswerkstatt“ im Monat; einige bleiben nur kurz, andere einige Wochen oder gleich das ganze Jahr als sogenannte „Permanents“.

„Junge Erwachsene kommen zu unseren Formaten oder für individuelle Auszeiten und stille Tage in einer geistlichen, spirituellen Atmosphäre“, erklärt Schaich das Prinzip. Der Jesuitenpater leitet die Einrichtung, die sich durch die Beiträge der Teilnehmerinnen und Teilnehmer – rund 35 Euro am Tag – sowie durch Zuwendungen der Jesuiten finanziert. Und weil Fragen nach dem Sinn im Leben keinen Urlaub machen, sind Schaich und sein Team bis auf die Weihnachtstage das ganze Jahr über dort anzutreffen. Die Zielgruppe ist zwischen 18 und 30 Jahre alt, steht im Berufsleben oder Studium und kommt aus Österreich, der Schweiz, Süddeutschland und Südtirol. Schaich: „In spiritueller Atmosphäre gehen wir ihren Lebensfragen, ihrem Lebensentwurf nach.“

Sich bei Sinnfragen begleiten zu lassen, ist für Psychologin Sara Kodritsch eine schlaue Herangehensweise, wenngleich sie die Sinnsuche als individuellen Prozess beschreibt. Doch der Austausch mit anderen Menschen und das Auseinandersetzen mit anderen Sichtweisen sei bereichernd. Ob zum Reden nun eine Psychologin, ein Priester oder ein Freundeskreis zur Verfügung stehe, ist für die Grazerin sekundär. „Nächtelang zu diskutieren und festzustellen, dass man mit seinen Sinnfragen wirklich nicht allein dasteht, tut gut und gibt das Gefühl, in einer Gruppe aufgehoben zu sein. Wem Ressourcen wie ein Freundeskreis fehlen, der kann andere Möglichkeiten ausschöpfen und so Austausch finden.“

Berufungen stark im Fokus

Was die Besucherinnen und Besucher der „Zukunftswerkstatt“ in Innsbruck beschäftigt? „Manche kommen und wollen Klarheit über ihren Glauben und darüber, welche Rolle er in ihrem Leben spielen soll. Manche kommen und fragen sich, welche Weichen sie für ihre berufliche oder private Zukunft zu stellen haben. Manche wollen spirituell auftanken, manche suchen Gemeinschaft, manche sind auf der Spurensuche nach Gott. Und manche fragen sich, ob sie eine geistliche Berufung in sich verspüren, sprich, ob sie Theologie studieren, in eine Ordensgemeinschaft eintreten oder Priester werden sollen“, fasst Felix Schaich zusammen. Demnach hat die Initiative in Tirol Berufungen stark im Fokus.

Der Ordensmann betont, dass Menschen schon auch einfach drauflosleben und sehen können, wohin sie das Leben eben so trägt. Dass dieser Weg besonders sinnstiftend ist, davon ist er nicht hinreichend überzeugt. „Meine Erfahrung ist, dass junge Menschen eine Sehnsucht nach einem erfüllten und gelungenen Leben haben. Nichts anderes bedeutet der christliche Ausdruck Berufung, denn Christus versprach uns ein ,Leben in Fülle‘“, erinnert Schaich.

Die Generation Z gilt als flatterhaft, man sagt ihr nicht unbedingt nach, dass sie sich allzu lang mit ein und demselben Thema beschäftigt oder gerne bindet. Die Grazer Psychotherapeutin Sara Kodritsch zieht den Vergleich zu der Generation, die jetzt – so wie sie selbst – um die 40 Jahre alt ist. „Wir sind nicht mit Smartphones aufgewachsen, die Generation Z schon. Uns wurde daher nicht viel vor-formuliert, der Generation Z schon. Sie ist viel auf TikTok oder Instagram unterwegs und bekommt über Sinnfragen wahnsinnig viel Inhalt geliefert. Diese Eindrücke gilt es zusammenzutragen, in einem geeigneten Rahmen zu verarbeiten.“ Auf die Frage, was denn überhaupt ein sinnvolles und gelingendes Leben sei, antwortet die Steirerin schmunzelnd und greift auf das Gelassenheitsgebet des US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr zurück: „Wenn man sich innerlich zurücklehnt und Dinge, die man nicht ändern kann, so annimmt, wie sie sind. Oder den Mut aufbringt, jene Dinge zu ändern, die man auch ändern kann – mitsamt der Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Sinn werde stets von Werten geformt, unterstreicht sie. „Und die Werte der eigenen Eltern hinterfragt jede Generation, bevor sie diese niederreißt und für sich wieder neu aufbaut.“

Bewegungen der Seele erkennen

Dass junge Menschen sich nicht mehr ohne weiteres jahrelang an eine Institutionbinden, ist Felix Schaich bewusst. Formate, in denen Pläne für in fünf oder zehn Jahren geschmiedet werden, sucht man in der „Zukunftswerkstatt“ vergeblich. „Es geht vielmehr darum, die inneren Regungen und Bewegungen der Seele zu erkennen und zu deuten“, sagt er mit Blick auf Talente, Stärken und Schwächen. Wie sich die Stimmung in der Werkstatt anfühlt? Eine Atmosphäre der Gesammeltheit, Achtsamkeit und innerer Einkehr wartet. Dazu gesellen sich herzliche Gastfreundschaft und eine gelebte Willkommenskultur. Schaich: „Die Räumlichkeiten dürfen nicht klein sein, sondern sind großzügig gestaltet, damit Freiheit sich entfalten kann.“

Apropos Freiheit: Bei den Angeboten auf der Homepage der „Zukunftswerkstatt“ (s. u.) ist ein starker Konnex zu der beeindruckenden Tiroler Bergwelt sichtbar. Der Grund dafür, die Berge aufzusuchen, liegt für den Jesuiten auf der Hand: „Die Natur ist ein Ort des Zusichkommens. Wir laden alle Gäste ein, in die Natur, in die Berge zu gehen, um wahrzunehmen, was uns täglich geschenkt wird.“ Dass allein diese Umgebung geeignet für die Selbst- und Sinnfindung ist, wagt Schaich nicht zu behaupten – immerhin können ähnliche Erfahrungen am Meer oder in der Wüste gemacht werden. Fest steht: „Innsbruck bietet mit seinen Bergen durchaus eine Möglichkeit, intensiv mit der Natur und Schönheit, mit dem Leben, der Frische, Freiheit und schlussendlich mit Gott in Kontakt zu kommen. Denn für unseren Ordensgründer Ignatius von Loyola war klar, dass Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden ist.“

Mehr erfahren: zukunftswerkstatt-innsbruck.org 

Der Beitrag ist am 27. Juli 2023 in der Wochenzeitung Die Furche erschienen, Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Publikation.

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