Lukas Kraus SJ: Die Hoffnung auf den Himmel offen halten

Interview mit Lukas Kraus SJ über seine Berufung, über seine künftigen Aufgaben als Priester und über die Kirche in Schweden. Lukas Kraus hat Mathematik und Mechanik studiert und in Philosophie promoviert – bevor er in den Jesuitenorden eintrat. Am 21. Oktober wurde er in Stockholm durch Kardinal Anders Arborelius zum Priester geweiht.

Wie kommt man als Mathematiker dazu, Priester werden zu wollen?

Das ist gar nicht so ungewöhnlich, wie es vielleicht scheint. Wir haben viele Mitbrüder im Orden, die vor dem Eintritt schon etwas anderes studiert haben, darunter auch Mathematiker. Und je länger ich darüber nachdenke, umso mehr kommt es mir vor, dass es tatsächlich Ähnlichkeiten gibt zwischen meiner damaligen Motivation für das Mathematikstudium und der Suche nach Gott. Die Mathematik beschäftigt sich mit zeitlos gültigen Wahrheiten, die der Willkür des Menschen entzogen sind und die oftmals auch eine Schönheit und Klarheit ausstrahlen, von der der menschliche Geist angezogen wird. Auf diese Weise verweist sie auf Gott, der ja die Quelle alles Wahren und Schönen ist.

Warum sind Sie dann nicht einfach Mathematiker geblieben?

Was mir an der Mathematik irgendwann gefehlt hat, war so etwas wie existenzielle Relevanz. Mathematische Erkenntnis tröstet nicht, könnte man sagen. Oder besser: Mathematik kann nur einen schwachen Trost spenden, indem sie den Geist ganz auf abstrakte Dinge lenkt. Wer intensiv nach einem Beweis für eine mathematische Aussage sucht, der denkt eine Zeit lang an nichts anderes mehr. Sogar das Dunkle und scheinbar Ausweglose im eigenen Leben kann man so eine Zeit lang vergessen. Aber auf Dauer hilft das natürlich nicht. Im Suchen und Finden von wirklichem Trost und von Hoffnung, auf die man sein Leben setzen kann, liegt die eigentliche Motivation für meinen geistlichen Weg. Als ich 19 war, starb mein Vater. Ich habe danach Jahre gebraucht, um zu erfassen, wie groß die christliche Hoffnung auf die Auferstehung und das Ewige Leben wirklich ist. Aber dann wurde mir klar, dass das der eigentliche Grund und Halt meines Lebens ist. Dass nichts Anderes dem auch nur entfernt gleicht. Letztendlich ging es um die Hoffnung auf den Himmel.

Die haben wir Christen ja alle im Angesicht von Leid und Tod, wird man deshalb gleich Priester?

Nicht gleich, und auch nicht zwangsläufig. Aber tatsächlich wurde mein Glaube immer mehr zum zentralen Punkt in meinem Leben. Auf der anderen Seite wollte ich den bisher eingeschlagenen Studienweg und meine Begabungen und Interessen nicht völlig ignorieren. Ein gewisser Ehrgeiz mag auch eine Rolle gespielt haben, als ich nach Abschluss des Mathematikstudiums erst einmal weiter studierte und schließlich eine Doktorarbeit in Philosophie schrieb. Dabei habe ich aber den geistlichen Weg nie ganz aus den Augen verloren. An den Jesuitenhochschulen in Frankfurt und Innsbruck konnte ich den Orden und seine Spiritualität gründlich kennenlernen. Drei Jahre lang habe ich als Laienstudent in Innsbruck im Canisianum gewohnt und den Alltag eines internationalen Priesterkollegs miterlebt, mit täglicher Messfeier, gemeinsamem Gebet und gemeinsamen Mahlzeiten. Das war so eine Art Vor-Noviziat für mich. Das Ordensleben, und speziell der Jesuitenorden, hat mich immer mehr fasziniert.

Was hat dieses Modell für Sie attraktiv gemacht?

Dass man als Ordensmann sein Leben ganz in den Dienst Gottes stellt. In der Gründungsbulle des Jesuitenordens heißt es, dass ein Jesuit „zuerst Gott, und dann die Art und Weise dieses seines (Ordens-)Instituts, die ja ein Weg zu Ihm ist, stets vor Augen haben soll“. Mich fasziniert diese ausdrückliche Konzentration auf das Wichtigste im Leben, auf die Beziehung zu Gott. Und die Idee, dass alles, was man tut, also die ganze Lebensordnung, die man wählt und der man treu bleiben will, nichts anderes als ein Weg zu Gott ist. Außerdem schätze ich sehr, dass die Jesuiten ein apostolischer Orden sind. Mir ist es im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden, soviel wie möglich von dem, was mir so viel bedeutet, auch weiterzugeben: Ich will Menschen helfen, einen Weg zu Gott zu finden.

Stammen Sie aus einer sehr gläubigen Familie?

Der Glaube war in der Familie schon wichtig, und wir sind auch regelmäßig in die Kirche gegangen. Mein Vater hat die Katechese vor meiner Erstkommunion und Firmung übernommen. Und ich war viele Jahre lang Messdiener in meiner Heimatgemeinde. Aber das war jetzt auch nichts extrem Außergewöhnliches in den Achtziger- und Neunzigerjahren im Bistum Trier. Wer mich aber in meiner Glaubensentwicklung mindestens ebenso stark geprägt hat wie die Familie, waren drei Priester, die mir ihre Berufung überzeugend vorgelebt haben: der Heimatpfarrer, der Militärseelsorger bei der Bundeswehr und der Hochschulpfarrer in Darmstadt. In der Katholischen Hochschulgemeinde in Darmstadt habe ich meinen Glauben neu entdeckt und vertieft, nicht zuletzt durch die Gemeinschaftserfahrung mit den vielen Freunden, die ich dort gefunden habe. Gegen Ende meines Studiums dort begann ich darüber nachzudenken, ob ein geistlicher Beruf etwas für mich sein könnte.

Das heißt, es gab nicht den einen Berufungsmoment?

Nein, es waren dann noch insgesamt zehn Jahre, in denen das in mir gereift ist. Um wirklich Klarheit zu finden, hat mir dann vor allem das Noviziatsprogramm geholfen, insbesondere die großen, dreißigtägigen Exerzitien, aber auch die Begegnungen mit schwerkranken und sterbenden Menschen im Krankenhausexperiment. Auch die Erfahrungen beim Pilgerexperiment ohne Geld von Nürnberg nach Wien waren wichtig. Seit den ersten Gelübden nach dem Noviziat hat sich meine Entscheidung immer wieder bestätigt. Ob in der Fremde im Kosovo, als Mathematiklehrer am Canisius-Kolleg in Berlin, beim Theologiestudium in Rom und jetzt als Diakon in der Diaspora in Stockholm: Überall konnte ich meine Aufgaben als Dienst für Gott und als Weg zu Ihm begreifen, und überall hatte ich Gelegenheit, anderen von der „Hoffnung, die mich erfüllt“ (1 Petr 3,15) zu erzählen.

Wie hat ihr Umfeld reagiert auf Ihre Entscheidung, Jesuit und Priester werden zu wollen?

Da der Ordenseintritt bei mir alles andere als eine plötzliche und spontane Entscheidung war, hatte auch mein Umfeld genug Zeit, sich daran zu gewöhnen. Tatsächlich habe ich viel Wohlwollen und Unterstützung erfahren.

Sie sagten, Sie wollten den Menschen Gott verkünden – welche Aufgaben wünschen Sie sich als Priester?

Nach meiner Priesterweihe werde ich zunächst in unserer Pfarrei in Stockholm als Kaplan tätig sein. In meiner Situation ist eine solche Stelle ideal, da ich hier nach und nach alle klassischen priesterlichen Tätigkeiten kennenlernen kann. Sicher wird mir manches davon mehr und anderes weniger liegen. Am Predigtdienst konnte ich mich schon ein wenig versuchen. Und schon bald wird dann auch die Feier der Messe und das Beichthören dazukommen. Da es in Schweden an den staatlichen Schulen keinen katholischen Religionsunterricht gibt, spielt bei uns auch das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen im Glauben eine große Rolle. All das kommt auch schon in den ersten Zeilen der Gründungsbulle des Jesuitenordens vor. Ich freue mich sehr, dass ich diese für uns Jesuiten so zentralen und grundlegenden apostolischen Tätigkeiten hier bald ausüben darf.

Wie kann man sich Ihre katholische Gemeinde in Stockholm vorstellen?

Die Situation ist mit der in Deutschland kaum vergleichbar. Die katholische Kirche ist hier in einer extremen Minderheitsposition: In Schweden gibt es weniger als zwei Prozent Katholiken. Unter ihnen gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von Konvertiten, die zuvor der schwedischen lutherischen Kirche angehört hatten – auch Kardinal Anders Arborelius ist einer von ihnen –, und immer mehr Schweden, die sich erst als Erwachsene haben taufen lassen. Sehr viele Katholiken in Schweden sind jedoch Einwanderer aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Dadurch ist unsere Gemeinde, die die älteste und größte katholische Pfarrei in Schweden ist, sehr vielfältig und bunt. Unsere Kirche ist sehr zentral gelegen und zieht eine große Zahl an Gläubigen an. Zum Sonntagshochamt und zur englischsprachigen Messe am Sonntagabend sind jeweils 500, manchmal 600 Leute da. Es gibt ein riesiges ehrenamtliches Engagement – und das in einer insgesamt sehr säkularen Gesellschaft. Auch auffällig viele junge Menschen mit Interesse an einem vertieften geistlichen Leben kommen zu uns. Viele schätzen ein explizit katholisches Profil. Es ist letztlich der gemeinsame Glaube, der Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen bei uns zusammenführt.

Ist das ein Modell für die Kirche auch hierzulande?

Die Voraussetzungen hier in Schweden sind, wie gesagt, andere als in Deutschland. Es lohnt sich aber meiner Meinung nach immer, über den Tellerrand hinauszuschauen. Auch die deutsche Gesellschaft ist ja in den vergangenen Jahren immer säkularer und kulturell vielfältiger geworden. Daher könnte es auch in Deutschland in Zukunft immer wichtiger werden, die verbindende Kraft mehr herauszustellen, die im gemeinsamen Glauben an Christus liegt. Die Kirche soll „Zeichen und Werkzeug“ sowohl für die Vereinigung mit Gott als auch für die Einheit der ganzen Menschheit sein, so lehrt uns das Zweite Vatikanische Konzil. Diesem Auftrag gerecht zu werden, ist ein Anspruch, an dem wir uns als Kirche ständig messen sollten, ob in Schweden oder in Deutschland.

Interview: Gerd Henghuber

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