Was wir seit dem 13. März 2013 erleben, ist der konsequente, auch gegen (teils heftigen) Widerstand betriebene missionarische Umbau der Kirche auf verschiedenen Ebenen. Mit 77 ins Amt gekommen, steht der Papst jetzt im 82. Lebensjahr - und wirkt fit, geistig wach und aufgeschlossen. Das ist für einen Menschen dieses Alters und mit diesen Beanspruchungen erstaunlich. Und lässt auf eine große innere Freiheit, Gelassenheit und auf eine starke geistliche Verwurzelung schließen.
Der "Tempo-" oder "Turbo-Papst", wie Franziskus da und dort genannt wird, steht für Aufbruch. Und das stresst natürlich: den Apparat, vor allem die Römische Kurie, aber auch Bischöfe und Kardinäle, die die päpstlichen Ideen und Anregungen aufnehmen, die Dokumente und Dekrete umsetzen müssen; aber auch Gläubige, die einem Papsttum nachtrauern, das einem strengen Hofzeremoniell unterlag und von einer Aura der Unnahbarkeit umgeben war. Der weise Entschluss von Papst Benedikt XVI. im Februar 2013, freiwillig zurückzutreten, weil er sich physisch und psychisch dem Amt nicht mehr gewachsen sah, machte all das möglich.
Als sich Kardinal Bergoglio Ende Februar 2013 zur Verabschiedung von Benedikt XVI. nach Rom aufmachte, reiste er ohne Sekretär, mit leichtem Gepäck. Auf dem Rückflugticket musste er nur das Datum eintragen. Die Predigt für die Chrisam-Messe am 28. März 2013 lag fertig auf seinem Schreibtisch in Buenos Aires. Er wollte so bald als möglich zurück sein. Außerdem rechnete er nach dem Konklave mit der baldigen Annahme seines Rücktritts, den er pflichtgemäß mit Erreichung des 75. Lebensjahres (Dezember 2011) eingereicht hatte. Um einen Platz in einem Altenheim für Priester hatte er sich bereits umgeschaut: Das Zimmer mit Blick in den Innenhof lag im Parterre.
Es kam bekanntlich anders. Und die ersten Worte "Fratelli e sorelle, buona sera" erwiesen sich als Eisbrecher. Natürlichkeit, Herzlichkeit, Spontaneität zeichnen diesen Papst aus. Er wirkt allein schon durch sein bescheidenes Auftreten, seine einfache Sprache, seine anschaulichen Vergleiche und Bilder. Die können auch sehr martialisch sein, kommen oft sehr direkt daher, wirken (zu) salopp oder gar grob. "Das ist Gossen-Slang", meinte einmal ein Mitbruder, der lange Benedikt XVI. zugearbeitet hat.
"Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen und jeden Abend einander zu segnen, auf den anderen zu warten und ihn zu empfangen": In einem päpstlichen Text würde man einen solchen Tipp wohl eher nicht vermuten. Und noch weniger suchen. Aber er ist im nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" (AL) vom März 2016 zu finden. Kein päpstliches Dokument seit "Humanae vitae" (1968), von vielen abschätzig Pillen-Enzyklika genannt, war umstrittener und hat mehr Debatten ausgelöst. Die Kontinuität der kirchlichen Lehre sei in Frage gestellt worden, behaupten eine Reihe von Kardinälen und Bischöfen besorgt. Manche Bischofskonferenzen interpretierten das Schreiben so, andere lasen das glatte Gegenteil davon heraus. Andere versteigen sich, wie der Philosoph Robert Spaemann, zu der Behauptung, mit "Amoris laetitia", dem auf die beiden Familiensynoden von 2014/15 folgenden Dokument, sei "das Chaos" gleichsam "mit einem Federstrich zum Prinzip erhoben" worden.
Papst Franziskus schaut auf den Einzelnen - und kritisiert "kalte Schreibtisch-Moral" (AL 312). Wer in sogenannten "irregulären Situationen" lebe, dürfe nicht nur nach moralischen Gesetzen beurteilt und klassifiziert werden, "als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft" (AL 305).
Am Christkönigssonntag 2013 hat Franziskus mit "Evangelii gaudium" sein Regierungsprogramm vorgelegt. Manche Kommentatoren, auch hierzulande, reduzierten das Schreiben auf den Satz "Diese Wirtschaft tötet". Ein ahnungsloser Papst, der nichts von Marktmechanismen versteht, so der Tenor der Kritik. "Schlecht beraten", meinten wohl wollendere Stimmen, die dann auch die Öko-Enzyklika "Laudato si" (Mai 2015) als Kompetenzüberschreitung bezeichneten. Ausbeutung, Ressourcen, Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit, indigene Minderheiten: Darf die "Sorge um das gemeinsame Haus" kein Thema für einen Papst sein? Franziskus benennt die Wunden globaler Ungerechtigkeit und wird nicht müde, die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" anzuprangern, nicht nur angesichts der Flüchtlinge, die im Mittelmeer umkamen.
Die Kirche hat er an die "Ränder" geschickt, bei Benachteiligten, Ausgebeuteten, Diskriminierten will er sie sehen, an den Peripherien soll sie sich engagieren - und nicht in Kirchen und Sakristeien verstecken, hinter dogmatischen Lehrgebäuden verschanzen, sich in Klerikalismus und Karrierismus üben. Seine Kurienkritik ist messerscharf, ja brutal. Aber er hört nicht auf, daran zu erinnern, dass "die wahre Macht der Dienst" ist - die Geste der Fußwaschung begleitet diesen Pontifikat von Anfang an.