• Ignatius wird in der Schlacht bei Pamplona am 20. Mai 1521 verwundet, Kupferstich von P. P. Rubens. (Jesuit Institut)
  • Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521. Gemälde von Anton von Werner (1877). (Bild: CC)
  • Nach seiner Weltumsegelung erreicht Magellan am 7. April 1521 die Philippinen-Insel Cebu. (Bild: CC)
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Vor 500 Jahren

Wird es gelingen, in aller guten Vielheit Europas Einheit zu denken und zu leben? Oder zerfällt Europa doch wieder in rivalisierende Einzelvölker und -staaten, die ihre Eigeninteressen an erste Stelle setzen? Stefan Kiechle SJ zeichnet in seinem Editorial in "Stimmen der Zeit" die neuere Geschichte Europas nach: Wichtige Weichenstellungen wie die Konversion des Ignatius von Loyola, die Entdeckung Amerikas, die Reformation und Einigungsversuche durch abendländisch-christliche Kaiser prägen unseren Kontinent bis in die Gegenwart. Was kann das „Christliche“ heute zu einem vielfältigen und starken Europa beitragen?

Vor 500 Jahren, am 17. April 1521, begegneten sich auf dem Reichstag zu Worms erstmals Kaiser Karl V. und Martin Luther. In den kontroversen Gesprächen dieser Tage berief sich Luther auf das Wort Gottes und auf sein Gewissen, Karl hingegen auf die Tradition und auf die katholische Wahrheit. Beide wollten die christliche Erneuerung, beide argumentierten letztlich über das Gewissen, beide behaupteten, Gott sei auf ihrer Seite (vgl. Heinz Schilling: Karl V. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach. München 2020, 134 ff.). Eine Einigung war nicht möglich, Luther wurde verurteilt und verbannt. Mit dieser Entscheidung wurde die konfessionelle Spaltung Europas festgesetzt. Diese führte über Jahrhunderte zu religiöser und politischer Zerrissenheit, zu brutalen Kriegen und zu unsäglichem Leid für Millionen.

Vor 500 Jahren, am 20. Mai 1521, wurde bei Pamplona Ignatius von Loyola durch eine feindliche Kanonenkugel schwer verwundet. Der eitle und strebsame baskische Ritter erlitt einen auch seelischen Bruch, der ihn in den folgenden Jahren zu einer tiefen spirituellen Umkehr führte. Nach Jahren der Suche entschied er sich, Seelsorger zu werden, studierte dafür, sammelte Gefährten um sich und gründete mit ihnen den Jesuitenorden. Dieser trug wesentlich zu einer inneren Reform der katholischen Kirche bei, die in den folgenden Jahrhunderten wieder erstarkte und die Geschichte Europas und der Welt – durchaus in konfessioneller Konkurrenz – wesentlich prägte.

Vor 500 Jahren, von August 1519 bis September 1522, umsegelte der Portugiese Fernão de Magalhães erstmals den Globus. Damit war endgültig erwiesen, dass die Welt eine Kugel ist – bis heute gibt es Verschwörungstheoretiker, die sie für eine Scheibe halten. Die Weltumseglung wurde zum Symbol dafür, dass das eurozentrische Weltbild abgelöst ist, dass die Menschheit multiethnisch, multikulturell und multireligiös geprägt ist und dass ihre Wirtschaft, ihre Kultur und überhaupt ihr Selbstverständnis sich, wie man heute sagt, globalisieren sollten. Allerdings brauchte es noch Jahrhunderte, um im Miteinander der Völker und Religionen die Ideen der Menschenwürde, der Toleranz und der Gleichberechtigung auch nur ansatzweise umzusetzen.

Vor 500 Jahren, Anfang der 1520er-Jahre, entwickelte Karl V. – nochmals muss er erwähnt werden – ein Modell des Kaisertums, das mit einem konservativ-idealisierenden Rückgriff auf frühere Imperien Europa einen wollte, unter der gottgewollten Führung des römischen Kaisers. Dieses Europa sollte christlich sein im Sinn der einen, vom Papst geleiteten Kirche. Das Modell passte schon damals nicht zur Realität, und historisch setzte es sich keineswegs durch, aber die Idee blieb wirkmächtig. Kann man sagen, dass diese Idee nach vielen Transformationen heute in neuer Weise weiterlebt, und zwar in der rechtspopulistischen Idee eines von nationalen Autokraten geführten „christlichen Abendlandes“?

Vier wichtige Weichenstellungen, die für Jahrhunderte Europa und die Welt prägten: Wieviel Herzblut steckte in ihnen? Wieviel Aufbruch, wieviel Kampf, auch wieviel Leid waren mit ihnen verbunden? Wie viel davon scheiterte? In ihnen stecken ständiges Ringen und Konflikte: zwischen Einheit und Spaltung, zwischen behauptetem, durchgesetztem religiösen Wahrheitsanspruch und Toleranz, zwischen Macht und Freiheit, zwischen Tradition und Entwicklung, zwischen partikularem und universalem Denken.

Wird es gelingen, in aller guten Vielheit Europas Einheit zu denken und zu leben? Oder zerfällt Europa doch wieder in rivalisierende Einzelvölker und -staaten, die ihre Eigeninteressen an erste Stelle setzen und mit oft autoritären, monolithischen Staatsstrukturen diese gegeneinander verfolgen? Europas Vielfalt ist eine der Ethnien, der Kulturen, der Religionen und der Konfessionen. Europas Einheit besteht nicht in der Hegemonie eines einzelnen Herrschers oder Staates – das würden seine Völker niemals dulden. Sie besteht vor allem in Ideen und Werten, die im Letzten, bei aller Säkularisierung, doch auf einem christlich geprägten Menschenbild beruhen – „christlich“ hier nicht als eine Nichtchristen auferlegte Religion verstanden, sondern als eine Weltanschauung und Ethik, die sich trotz aller historischen Verwerfungen doch als menschenfreundlich, die Schöpfung bewahrend und Gerechtigkeit und Frieden fördernd erweist – und als solche Gehör und Geltung beanspruchen darf. Findet diese vor allem ideelle Einheit auch eine Struktur oder Form, die zwar föderal und freilassend, aber zugleich nach innen effizient und nach außen stark ist? Unter Verzicht auf alle kolonialen oder imperialen Großmachtträume und in angemessener Bescheidenheit würde ein solches Europa Gewicht bekommen im Konzert der Weltmächte, und es könnte Modell werden für eine humanere Welt.

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