Von der Theologie zur Praxis des ökumenischen Dialogs
Unvergesslich ist mir ein Satz aus einem Vortrag geblieben, den der damalige Weihbischof von Chur und Generalvikar von Zürich, Peter Henrici SJ, im April 1997 in Innsbruck auf einem Symposion zum 400. Todestag von Petrus Canisius gehalten hat: Er habe zeitlebens Dinge erledigen müssen, für die er überhaupt nicht ausgebildet war.
Ein Allroundler – und Improvisateur
Natürlich war Canisius ein exzellenter Humanist. Er lehrte an Universitäten, Bischöfe und Kardinäle, Kaiser und Könige bemühten sich um ihn. Auf Reichstagen war er ebenso zu finden wie auf dem Konzil von Trient (1545–1563), das – leider viel zu spät – versuchte, die Kirche à jour zu bringen, damit wieder ins Lot kommt, was (nicht erst) durch die Anfragen der Reformatoren fragwürdig geworden oder ins Rutschen gekommen war. Aber Canisius musste oft improvisieren. Und es hat funktioniert!
Canisius war als Theologe kein ausgewiesener Ökumeniker. Der „Große Katechismus“, den er im April 1555 veröffentlichte, war eine innerkatholische Vergewisserung. Der Augsburger Religionsfriede führte wenig später (am 25. September) de facto zur Anerkennung der lutherischen Glaubenslehre. Im September 1557 wurde das Wormser Religionsgespräch eröffnet. Canisius war von Ferdinand I. dorthin beordert worden. Niemand anderer, so der König, sei dem Sprecher der protestantischen Theologen – es war Philipp Melanchthon, die theologische rechte Hand Luthers – gewachsen. Die Gespräche scheiterten und wurden ergebnislos abgebrochen. Canisius kritisierte das. Gleichzeitig bedauerte er den unglücklichen Verlauf. Die Einheit der Kirche bedeutete ihm viel. Deshalb ließ er sich auch nicht zu Polemiken hinreißen, anders als spätere Kontroverstheologen, die sich gegenseitig verketzerten.
Ehrlicher, transparenter Dialog
Was lässt sich von Canisius für heute lernen? So banal es klingt: das vorurteilsfreie, das nicht taktisch angelegte miteinander Reden! Wenn ich im vornhinein weiß, was als Ergebnis herauskommen soll, höre ich schon nicht mehr richtig hin. Der Respekt vor den in über 500 Jahren gewachsenen Positionen der reformatorischen Kirchen verbietet eine „Rückkehr-Ökumene“, die schon Johannes Paul II. ausgeschlossen hat.
So wie es die „Ökumene des Blutes“ gibt – das gemeinsame Zeugnis evangelischer und katholischer Christen in der NS-Zeit –, braucht es heute eine existentielle Ökumene. Viele konfessionsverbindende Ehen, die man vor noch nicht allzu langer Zeit konfessionsverschiedene Ehen genannt hat, leben längst, woran sich die Theologie noch abarbeitet.
Ökumene des Lebens
Ökumenische Kommissionen, Arbeits-papiere, Entschließungen, Memoranden gibt es viele. Man soll theologische Differenzen nicht klein- oder schönreden. Sie sind nicht vom Himmel gefallen, sondern über Jahrhunderte hinweg gewachsen. Gewachsen ist aber auch die Sehnsucht nach Einheit, nach einem Zusammenwachsen, was vor über 500 Jahren auseinandergebrochen ist und was sich auseinanderentwickelt hat.
Vielleicht müssen wir mehr improvisieren? Mehr tun, gemeinsam, anstatt nur zu theologisieren – in gegenseitigem Respekt? Das Zauberwort der „versöhnten Verschiedenheit“ können manche nicht mehr hören, die vor ganz praktischen Problemen stehen, etwa in einer konfessionsverbindenden Ehe.
„Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr“: Vielleicht sollten mündige Christen heute viel mehr selbst verantworten und entscheiden, was nicht immer nach „Rom“ oder in eine kirchliche Amtsstube delegiert werden kann? Brauchen wir mehr pragmatische „Lösungen“? Vielleicht.
Der „Tutiorismus des Wagnisses“ (Karl Rahner SJ) traut dem konkreten Leben und dem Glaubensvollzug etwas zu. Denn Deutungen und Erklärungen bilden nie die volle Wirklichkeit ab. Wie Ignatius war Petrus Canisius davon überzeugt, dass die wahre Reform der Kirche von innen kommen muss. Strukturen sind demgegenüber zweitrangig – eine Überzeugung, die heute auch ein Papst Franziskus hat, nicht nur in Sachen Ökumene.
P. Andreas R. Batlogg SJ