Wucherpfennig: Tabufrei über Weiheamt für Frauen nachdenken

Frankfurt (KNA) Der Frankfurter Jesuit Ansgar Wucherpfennig (55) zählt zu den katholischen Theologen, die seit Jahren eindringlich Reformen in der Kirche fordern. Der Vatikan hatte ihm 2018 die nötige Unbedenklichkeitserklärung ("Nihil obstat") für eine dritte Amtszeit als Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen zunächst nicht erteilt, was auf massive Kritik stieß. Wucherpfennig hatte sich wiederholt kritisch zum Umgang der Kirche mit Frauen und Homosexuellen geäußert. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Dienstag spricht Wucherpfennig über den katholischen Reformdialog Synodaler Weg, insbesondere zur Frage nach Ämtern für Frauen.

KNA: Herr Professor Wucherpfennig, der Reformdialog Synodaler Weg in der katholischen Kirche in Deutschland wird am Freitag mit fünf Regionalkonferenzen fortgesetzt - was sind Ihre Erwartungen?

Wucherpfennig: Ich erhoffe mir viel vom Synodalen Weg. Er ist geschichtlich wahrscheinlich die letzte Chance, den Impuls, der mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegeben war und dann eine ganze Zeit lang stagniert ist, noch einmal aufzugreifen und in eine neue Dynamik zu bringen. Dieser Impuls ist längst noch nicht eingelöst.

KNA: Bei den Regionalkonferenzen wird auch über das Thema "Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche" diskutiert. Sie sind Professor für die Exegese - also Auslegung - des Neuen Testaments. Welche Ämter sind nach der Bibel aus Ihrer Sicht für Frauen in der katholischen Kirche möglich - Diakonin, Priesterin, Bischöfin, Kardinälin?

Wucherpfennig: Die theologische Reflexion über das Thema Frauen und Amt muss tabufrei sein. Ich sehe keinen theologischen Grund zu sagen: Diakonin ja, aber Priesterin nein. Oder Diakonin ja, aber Kardinälin nein.

KNA: Und praktisch gesehen?

Wucherpfennig: Was die praktische Frage angeht, kann ich mir schon vorstellen, dass das Amt der Diakonin - zumal es in der frühen Kirche belegt ist - ein möglicher nächster Schritt ist. Ich stelle mir allerdings vor, dass dann das Diakoninnen-Amt noch einmal eine ganz andere Gestalt bekommen muss.

KNA: Inwiefern?

Wucherpfennig: Beispielsweise ist es de facto so, dass Frauen - seien es als Pastoralreferentinnen oder auch ehrenamtlich - heute schon Gespräche führen, die mit Beichtgesprächen vergleichbar sind, in Gemeinden oder auch in der geistlichen Begleitung. Man könnte also das Beichtsakrament nicht nur Priestern, sondern auch Diakoninnen überantworten. Dann könnten auch Frauen jemandem die Beichte abnehmen. Da das Amt der Diakonin im Neuen Testament und in der frühen Kirchengeschichte nicht scharf umrissen ist, ergibt sich ein praktischer Freiraum, ihm eine neue Gestalt zu geben.

KNA: Papst Johannes Paul II. hatte 1994 in einem lehramtlichen Schreiben betont, dass die Kirche keinerlei Vollmacht habe, Frauen die Priesterweihe zu spenden. Gilt dieses Papstwort für immer und ewig?

Wucherpfennig: Dieses Verdikt von Papst Johannes Paul II. war zunächst einmal eine Selbstbeschränkung. Und das bedeutet eigentlich, dass man auch über das Gegenteil nachdenken kann. Bischöfe haben sich schon lange in diesem Sinn geäußert, und Papst Franziskus tut das in Bezug auf Diakoninnen. Ich denke, dass es aus theologischer Sicht sinnvoll ist, dieses Verdikt aufzugeben, das Tabu in der Diskussion ist ohnehin schon gefallen.

KNA: Was sagt das Neue Testament über die Bedeutung des Amtes in der Kirche?

Wucherpfennig: Mit dem Neuen Testament könnte man jedenfalls noch viel kreativer sein, was die gesamte Amtsfrage angeht. Ich glaube, dass Kirche weiterhin auch ein Amt braucht, aber der Blickwinkel wird und muss sich ändern. Beispielsweise spielt im Johannes-Evangelium das Apostelkollegium, an dem sich das Bischofsamt festmacht, so gut wie keine Rolle. Entscheidend ist dort die Freundschaft innerhalb der Jünger-Gemeinschaft. Da haben wir ein Gemeindebild, das zukunftsweisend wäre, aber sich gar nicht an der Amtsfrage orientiert, sondern an der Wertschätzung von Jüngerinnen und Jüngern Jesu untereinander.

KNA: Was hieße das in der Praxis?

Wucherpfennig: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es in Diaspora-Gebieten im Norden und Osten Deutschlands künftig Gebiete geben wird, in denen über weite Strecken kein Priester vorhanden ist, überhaupt kein Amtsträger, weil auch das Amt des Pastoralreferenten in der Krise ist. Die Gemeinden müssten also eine Struktur bekommen, um in dieser Situation leben zu können - dazu sollte man das Neue Testament noch einmal neu lesen.

KNA: Derzeit gibt es in Deutschland viel Enttäuschung und Frust in katholischen Gemeinden über Rom, weil sich engagierte Laien und auch Bischöfe durch die Instruktion der vatikanischen Kleruskongregation zur Pfarreienreform ausgebremst fühlen.

Wucherpfennig: Diese römische Äußerung hat eine Wertigkeit bekommen, die momentan zu hoch eingeschätzt wird. Sie ist eine kirchenamtliche Positionierung in einer offenen Streitfrage, die aber auch zeigt, dass es einen Diskurs über bestimmte Fragen gibt - und dass es berechtigterweise regionale andere Lösungen geben kann.

KNA: Aber diese Querschüsse aus Rom ereignen sich in der Amtszeit des vielgelobten Papstes Franziskus.

Wucherpfennig: Ich habe noch kein abschließendes Urteil über Papst Franziskus und finde auch, dass abschließende Urteile über Päpste nicht vorschnell erfolgen sollten. Ein Verdienst von Franziskus ist auf jeden Fall, dass er den kirchlichen Diskurs geöffnet hat. Dass wir überhaupt über diese Themen sprechen, also über eine mögliche Zulassung von Frauen zum Weiheamt, über Sexualität, über Strukturen von Gemeinden und flexible Strukturen der Gemeindeleitung, über die Abgabe und Teilung von Macht - dies alles wäre unter den Vorgänger-Pontifikaten so nicht möglich gewesen.

Von Norbert Demuth (KNA)

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