• Vladicas Tochter geht gerne zur Schule.
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JRS

Ein Gesicht, das vom Warten und Hoffen erzählt

„Und doch darf man nie vergessen, dass die Migranten an erster Stelle nicht Nummern, sondern Personen sind, Gesichter, Namen und Geschichten“, so Papst Franziskus.

Gesichter, Namen und Geschichte begegnen Ihnen viel, wenn Sie zu uns in den Jesuiten-Flüchtlingsdienst am Lietzensee kommen. Zum Beispiel bieten jeden Mittwoch ehrenamtliche Mitarbeitende Härtefallberatungen an. Dies geschieht im Auftrag des Erzbistums Berlin. Die Mitarbeitenden bereiten Anträge an eine Kommission des Landes Berlin vor. Dadurch sollen Menschen, denen eine Abschiebung droht, obwohl dringende Gründe ihren Verbleib in Deutschland rechtfertigen, doch noch ein Aufenthaltsrecht erhalten.

Wenn Sie dann an unseren Tresen setzen und sich einen Kaffee oder Tee einschenken lassen, erleben Sie all die Menschen, die bereit sind, lange zu warten, bis sie drangenommen werden. Ihre Gesichter lassen etwas erahnen von ihren persönlichen Schicksalen. Für viele ist ein Härtefallantrag der letzte Strohhalm, an den sie sich klammern.

Vladica war einer von ihnen. Er kam kurz nach der Wende als kleiner Junge nach Berlin, ist hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er spricht fließend Deutsch – neben fünf anderen Sprachen. Fast alle seine Freunde waren deutsch, er spielte mit ihnen Fußball. Sonntags kamen Bekannte und Nachbarn in die Hohenschönhausener Wohnung zu Kaffee und Kuchen. Die Familie war immer gastfreundlich. Vladica träumte davon, nach seinem Schulabschluss Automechaniker zu werden, hatte schon eine Ausbildung begonnen, musste sie aber abbrechen, weil der Staat ihm keine Arbeitserlaubnis geben wollte.

Als sein schwerkranker Vater abgeschoben wurde, reiste er freiwillig mit aus, um ihn nicht alleinzulassen. Aber was sollte er in einem Land, in dem er zwar geboren war, zu dem er aber überhaupt keinen Bezug hatte? Mehrmals versuchte er, nach Deutschland zurückzukehren, erst allein, dann mit Frau und Kindern. Doch immer wieder wurden er und seine Lieben fortgeschickt – ohne Hab und Gut, mit nur wenigen Euros in der Tasche. In der Schule der Kinder wurden Unterschriften für die Familie gesammelt – ohne Erfolg. Härtefallanträge wurden abgewiesen. Die Behörden brauchten ewig, um zu Entscheidungen zu kommen. Zwischendurch gingen auch noch Akten verloren.

Es hat insgesamt 30 Jahre gedauert, bis Vladicas Herzenswunsch erfüllt wurde und er und seine Familie bleiben durften. „Das ist so, als würde man einen Felsen sein Leben lang tragen und dann kann man den auf einmal wegschmeißen“, so beschreibt er seine Gefühle. Zukünftig kann Vladica als Sprachmittler in einer sozialen Einrichtung arbeiten. Seine große Tochter ist in Berlin verheiratet und hat selbst schon ein Kind, seine kleine Tochter geht in die Grundschule.

Vladica weiß, was es bedeutet zu warten. Warten war für ihn mit tiefen Emotionen und innerer Zerrissenheit verbunden, eine Dauerbelastung. Es erforderte eine ständige Auseinandersetzung mit der Gegenwart und die Fähigkeit, trotz aller Ungewissheit nicht den Mut zu verlieren. „Man wartet, aber weiß nie, wie lange. Man hofft, aber erwartet das Schlimmste“, sagt er. Das Warten brennt sich in die Seele ein und wird zu einer Art Grundrauschen des Lebens. „Man muss irgendwas glauben, sonst funktioniert das ganze System nicht“, so Vladica. „Man soll die Hoffnung niemals aufgeben. Immer weiterkämpfen.“

Gesichter, Namen und Geschichten wie die von Vladica bereichern. Sie können einen neuen Blick auf die Welt und das Leben schenken – auch Ihnen. Schauen Sie doch mal bei uns vorbei!

Kerollous Shenouda

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