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Vom Lieben und Sterben

Der Kern des Christlichen liegt in der Verwandlung des Menschen. Strukturen, Rituale, Moral können dabei unterstützen. Doch das Entscheidende auf diesem Weg sieht Bertram Dickerhof im bewussten Durchleben von Grenzsituationen. Eine Rezension seines Buchs "Vom Lieben und vom Sterben".

Bertram Dickerhofs existentielle Suche nach dem Kern des Christlichen in einer Zeit, in der das Christentum in unseren Breiten dahinstirbt und kirchenintern der Organisationserhalt im Vordergrund zu stehen scheint, lässt wahrhaft österlich-pfingstliche Luft atmen. Mit seinem Buch möchte er helfen, „neu zu verstehen, welche Bedeutung das Christliche für unser Leben heute hat und wie wir ansetzen können, etwas von der Freiheit des ‚Ich bin und ich liebe’ in unserem Leben zu erfahren“. Dies gelingt in eindrucksvoller Weise: theologisch fundiert, spirituell tiefgehend, erfahrungsbezogen und lebenspraktisch ausgerichtet. Es ist ein kraftvolles Buch – das lässt bereits die Umschlaggestaltung ahnen. Sein Inhalt ist nährend und herausfordernd zugleich und regt die eigene Suchbewegung an.

Der Autor beginnt seine Suche in Kapitel 1 mit dem Leben und Wirken Jesu von Nazareth, dessen Auferstehung die Geburtsstunde des Christlichen ist. Wie kommen die Jünger zum Glauben an Jesu Auferstehung und was bedeutet sie? Jesu Passion reißt sie in ihre eigene. Insbesondere die Frauen, die unter dem Kreuz aushalten und bei der Beisetzung Jesu zugegen sind, stellen sich dieser Passion: Trauer und Ohnmacht, Verlust des geliebten Menschen, Zerstörung von Lebenssinn und Perspektive. Ihre Liebe lässt sie ein das Leben bestimmendes Prinzip durchbrechen: zu erstreben, was als gefällig erscheint, und zu vermeiden oder abzuwehren, was missfällt. Wo sie ihre Vorstellungen und Illusionen an der Wirklichkeit, wie sie ist, sterben lassen, teilt sich ihnen göttliches Leben mit, das sie verwandelt: sie werden tiefer gegründet in je ihrem Grund, befreit zu sich selbst, beschenkt mit ihrer schöpferisch-liebenden Antwort auf eine anfragende Situation. In ihrer Umwandlung zu mehr Person-Sein begegnen sie dem auferstandenen Gekreuzigten als ihrem wahren Selbst.

Kapitel 2 nimmt seinen Ausgang bei der Bergpredigt, der Grundsatzrede Jesu, die Matthäus kunstvoll um deren Kern, das Vaterunser, gestaltet. „Beten im Geiste des Vaterunsers“ ist für B. Dickerhof die Antwort auf die Frage, wie das Durchbrechen des o.g. Prinzips, wie also Kreuzesnachfolge im Alltag verwirklicht werden kann. Die „Seligpreisungen“ versteht er als Impulse zur beseligenden Bewältigung eines Trauerprozesses und damit als Teil der Gebetsmethode des Vaterunsers. Deren wesentliches Element ist das wahrnehmende Verweilen bei den inneren Bewegungen, gleich ob angenehm oder unangenehm, in demütiger, vertrauender Offenheit. Christliches Beten endet nicht im „stillen Kämmerlein“, sondern vollendet sich in wahrhaftiger Begegnung mit dem Anderen. Es geht also um das für die Bibel so zentrale „Hören und Tun des Willens Gottes“.

Kapitel 3 versteht den Alltag als Weg, auf dem Gott den Menschen zur Einheit mit sich führt – eine Sicht, die sich v.a. demjenigen erschließt, der in einer täglichen Stillen Zeit Beten im Geiste des Vaterunsers einübt. Das verdeutlichen auch ermutigende und berührende Berichte unterschiedlicher Menschen in verschiedensten Lebenssituationen, die sich als geführt erfahren haben. Diese werden vom Autor mit viel Wertschätzung und Behutsamkeit, aber auch mit Klarheit und Wachheit für Details aufgegriffen und gedeutet. Das letzte Kapitel gibt so Ermutigungen und Anregungen für die Praxis der Stillen Zeit und für die Bewahrung der inneren Freiheit auch im Alltag. Außerdem erschließt es die Bedeutung, die Begegnungen mit den Mitmenschen für den eigenen Weg der Person-Werdung haben.

Gerahmt werden die drei Kapitel von der Geschichte der Sterndeuter (Mt 2) und der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) als Paradigmen für die Suche nach Erfüllung über alles Irdische hinaus bzw. für das Gefunden-Werden von der Liebe Gottes.

Unter der Überschrift „Was sucht ihr?“ hat der Dogmatiker Erhard Kunz SJ ein Geleitwort verfasst, das den Ausführungen seines Mitbruders vorangestellt ist und diese würdigt. Gerne schließe ich mich seiner Empfehlung an, dieses mit viel Herzblut geschriebene und mit großer Liebe zu Jesus imprägnierte Buch von B. Dickerhof „erwartungsvoll in die Hand zu nehmen und sich ... von der in Jesus bleibenden Liebe Gottes ansprechen und bewegen zu lassen“. 

Petra Maria Hothum SND

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