• Papst Franziskus mit indigenen Teilnehmern der Amazonassynode im Vatikan.
  • hristian Rutishauser, Provinzial der Schweizer Jesuiten.
  • Gottesdienst an der Amazonas-Synode.
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"Viri probati": Ein Jesuit erklärt den Rückzieher des Papstes

Die Amazonas-Synode wollte verheiratete Männer als Priester. Papst Franziskus hat sich dagegen entschieden. Warum, ist in einer Notiz des Papstes nachzulesen. Was davon zu halten ist, erklärt ein Schweizer Jesuit.

In der Jesuiten-Zeitschrift «Civiltà Cattolica» ist ein Artikel erschienen, der sich dem Pontifikat von Papst Franziskus widmet. Darin ist auch eine persönliche Notiz von Franziskus enthalten. Sie gibt Aufschluss über das vorläufige «Nein» des Papstes zu den «viri probati».

Die Unterscheidung der Geister

Eine Mehrheit auf der Amazonas-Synode forderte: Bewährte Männer, also verheiratete Männer mit Zivilberuf, sollen zu Priestern geweiht werden. Doch darauf liess sich der Papst bislang nicht ein.

Das hat mit dem Begriff «discernimento» zu tun, der so viel wie Urteilsvermögen bedeutet. Oft wird er auch, etwas freier, mit «Unterscheidung der Geister» übersetzt. «Die Unterscheidung der Geister ist ein methodischer Schritt in einer Urteilsfindung. Discernimento hat mehr den ganzen Prozess der Meinungsbildung im Blick», sagt Christian Rutishauser, Provinzial der Schweizer Jesuiten.

Einheit von Glauben und Vernunft

Um den Jesuiten Franziskus zu verstehen, muss man sich mit der jesuitischen Praxis auseinandersetzen. Hinzu kommen kulturelle Unterschiede. «Ich habe einen Teil meiner Ausbildung in Frankreich gemacht. Das methodische Einüben von spiritueller Urteilsbildung ist im deutschsprechenden Raum weniger verbreitet», sagt Rutishauser. «Das Rationale und Spirituelle, das Institutionelle und Persönliche brechen bei uns mehr auseinander, als ich dies im romanischen Kulturraum erlebt habe.»

Was es genau mit der Unterscheidung der Geister auf sich hat und wie er Franziskus’ Nein zu den viri probati versteht, sagt Rutishauser im kath.ch-Interview.

Warum hat Papst Franziskus bei den verheirateten Priestern einen Rückzieher gemacht?

Christian Rutishauser: Der Papst hat die Voten der Amazonas-Synode angehört und die Mehrheitsmeinung gesehen. Sicher hat er beim Schreiben des Schlussdokuments die Synodenstimmen nochmals abgewogen, mit Stimmen von ausserhalb der Synode verglichen, auch mit den Fragen der Umsetzung, der Gesamtsituation etc. Eine solche Auswertung steht ihm zu, wenn er dann das Dokument schreibt. 

Papst Franziskus schreibt in einer Notiz, es habe kein discernimento stattgefunden. Was ist damit gemeint?

Rutishauser: Franziskus betont, dass die Synode kein demokratisches Parlament ist. Letztlich geht es nicht um Mehrheitsentscheide, denen sich eine Minderheit fügen muss. Die Synode muss den Willen Gottes in bestimmten Fragen suchen. Dabei geht es um eine möglichst grosse Konsensfindung, vor allem darum, dass am Ende nicht die Einen über die Anderen siegen. Der Papst wirbt bei allen Gruppen darum, Verständnis für die Gegenseite zu finden, denn es muss um die Einheit der Kirche gehen.

Trotzdem geht es um Reformen.

Rutishauser: Dazu braucht es natürlich offene und freie Debatten. Franziskus fördert und schätzt sie. So hat er ein Klima geschaffen, das in der Kirchenleitung alles andere als selbstverständlich ist. Doch er scheint den Eindruck zu haben, dass noch verschiedene Glaubensüberzeugungen aufeinanderprallen – ohne tieferes Verständnis füreinander. 

Warum ist den Jesuiten die «Unterscheidung der Geister» so wichtig?

Rutishauser: Die Frage, wie der einzelne Mensch das Leben gestalten und die Kirche als Gemeinschaft handeln soll, steht im Zentrum jesuitischer Spiritualität. Es gibt nämlich zwar allgemeine Regeln und Normen, doch das Leben ist so vielgestaltig, dass es immer verschiedene Möglichkeiten gibt, sie auszulegen. Manchmal erzeugt eine Regel, wenn man sie wortwörtlich anwendet, sogar das Gegenteil, was beabsichtigt ist. 

Wann wäre die «Unterscheidung der Geister» denn gegeben? Kann man das intellektuell abwägen – oder ist hier das Bauchgefühl des Papstes gefragt?

Rutishauser: Wer Verstand und Intellekt gegen Bauchgefühl und Emotionen ausspielt, hat nichts von der Unterscheidung der Geister verstanden. Es gibt nur einen Gott und nur einen Heiligen Geist, wie Paulus im Korintherbrief ausführlich darlegt. Dieser eine Geist Gottes wirkt in den verschiedenen Menschentypen. Nicht das Mittel ist entscheidend – ob Kopf oder Bauch –, sondern ob es zum Aufbau der Kirche, zum Wohl der Menschen, zur Bewahrung der Schöpfung dient.

Ist die «Unterscheidung der Geister» nicht eine Ausrede, um ein kirchenpolitisch schwieriges Thema zu vertagen?

Rutishauser: Alles kann immer als Ausrede genommen worden. Das ist Feigheit. Papst Franziskus ist aber wirklich kein Feigling. Er versucht, auf den Geist Gottes zu hören und daher ist er ein Charismatiker. Alle in der Kirche sollten in diesem Sinne Charismatiker sein.
Das heisst aber auch anzuerkennen, dass nicht nur ich selbst vom Geist Gottes geführt bin, sondern die Person, die auch eine gegenteilige Meinung vertritt. Dann beginnt das Ringen, das Zeit braucht, bis daraus Segen entsteht. Geistlich unterwegs zu sein bedeutet, sich mehr Zeit zu nehmen, um genauer hinzuhören.

Autor:

Pater Christian Rutishauser SJ ist der Delegat für Hochschulen der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten. Bis zur Gründung der neuen Provinz war er Provinzial der Schweizer Provinz. 1965 geboren und in St. Gallen aufgewachsen. Studium der Theologie in Fribourg und Lyon. Ein Jahr Pfarreiarbeit und anschliessend Noviziat der Jesuiten in Innsbruck. 1994-1998 Arbeit als Studentenseelsorger an der Universität Bern und Leiter des Akademikerhauses in Bern. Doktoratsstudium im Bereich Judaistik in Jerusalem, New York und Luzern. Dissertation zu Rav Josef Dov Soloveitchik (1903-1990) mit dem Titel «Halachische Existenz» im Mai 2002. Seither verschiedene Lehraufträge im Bereich jüdischer Studien, so an der Hochschule für Philosophie S.J. in München, am Kardinal-Bea-Institut an der Universität Gregoriana in Rom und am Theologischen Studienjahr an der Dormitio-Abtei in Jerusalem. Seit 2004 Mitglied der Jüdisch/Röm.-kath. Gesprächskommission der Schweizerischen und seit 2012 auch der Deutschen Bischofskonferenz. Delegationsmitglied der vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum seit 2004; seit 2014 in derselben Funktion ständiger Berater des Heiligen Stuhls.

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