Wie gerecht geht es in Deutschland zu? Der Welttag der sozialen Gerechtigkeit am 20. Februar bietet Gelegenheit, diese Frage in den Blick zu nehmen. Für P. Jörg Alt SJ wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Gerechtigkeit in Deutschland, besonders Reiche stärker zu besteuern. In der Februar-Ausgabe der Kulturzeitschrift „Stimmen der Zeit“ spricht er sich für verschiedene Formen der „Reichensteuer“ aus – für mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland immer weiter auseinander. Das Konzept, besonders reiche Menschen, deren Reichtum über ein vertretbares Maß hinausgeht („Überreiche“), stärker zu besteuern, ist deswegen nicht nur im aktuellen Wahlkampf brisant. Doch wer gilt als überreich? Die Definitionen schwanken. „Ab einem Vermögen in Höhe von 2,5 Millionen Euro gehört man in Deutschland zum Top 1 %“, erklärt Pater Alt. Der auf internationaler Ebene diskutierte Vorschlag für eine weltweite Reichensteuer setze bei Vermögen ab 100 Millionen US-Dollar an.
Pater Alt erklärt, warum er die kontinuierlich wachsende Vermögensungleichheit für sozial, ökologisch, demokratisch, intergenerationell und global ungerecht und bedenklich hält:
- Sozial ungerecht: „Große Vermögen […] und daraus generiertes Einkommen wachsen schneller als Einkommen aus Arbeit.“ Die „Top 10 % der Reichsten kontrollieren 67 % der Vermögenswerte, die unterste Bevölkerungshälfte (!) hingegen gerade mal 1 %.“
- Ökologisch ungerecht: „Die Nutzung und Verschmutzung natürlicher Ressourcen durch reiche Menschen ist deutlich höher als die aller anderen“, so Pater Alt. „Wer viel Geld hat, kann damit viel Gutes tun, aber auch bestehende soziale und ökologische Missstände stabilisieren oder gar vergrößern. Leider ist letzteres immer noch der Regelfall.“
- Demokratisch ungerecht: „Reiche Menschen haben deutlich mehr Einfluss auf politische Entscheidungsträger.“ Der Grund: „Wer Vermögen hat, vermag mehr – sei es direkt über die Finanzierung von Lobbyisten oder indirekt über einflussreiche Netzwerke, die von Kindheit an wachsen und gepflegt werden“, schreibt Pater Alt.
- Intergenerationell ungerecht: „Indem Politik und Gesellschaft einen Kurs des ‚mehr oder weniger Weiter-So‘ fahren, wird es unvermeidlich zu […] Freiheitseinschränkungen kommender Generationen kommen, die wegen verschleppter Reformen dann stärkere Lasten schultern müssen.“
- Global ungerecht: „Der Vollständigkeit halber muss gesagt werden, dass Große Vermögen im Globalen Norden (allzu) oft auch auf sozialer und ökologischer Ausbeutung im Globalen Süden beruhen.“
„Was kann man dagegen tun? Wie schnell? In welcher Reihenfolge? Wie sind die unterschiedlichen Vorschläge einzuordnen?“, fragt Pater Alt. Für ihn ist ein Lösungsansatz die Besteuerung des Vermögens der Überreichen, umgangssprachlich als Reichensteuer bezeichnet. Das könne durch eine Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer geschehen.
Vermögen- und Erbschaftsteuer im Grundgesetz verankert
„Die Vermögensteuer sowie Erbschaft- und Schenkungsteuer sind in Grundgesetz, Einzelgesetzen sowie höchstrichterlicher Rechtsprechung gut verankert, ihre Anwendung scheitert also nicht apriori an rechtlichen Hürden“, schreibt Pater Alt.
Warum werden dann überreiche Menschen noch nicht stärker besteuert? „Insbesondere werden wirtschaftliche und Wettbewerbsgründe dagegen ins Feld geführt.“ Das seien vor allem diese Einwände: „Es werden Arbeitsplätze gefährdet, die Fremdkontrolle deutscher Firmen nimmt zu und es besteht die Gefahr, dass Vermögende und ihre Firmen ins Ausland abziehen.“ Wie stichhaltig diese Thesen tatsächlich sind, darauf geht Pater Alt in seinem Beitrag in den „Stimmen der Zeit“ näher ein.
Befürworter einer Vermögensteuer nehmen zu
Die Frage ist, wie es mit der Reichensteuer nach der Bundestagswahl weitergehen wird. Dass die ausgesetzte Vermögensteuer reaktiviert wird, schätzt Pater Alt als unwahrscheinlich ein, denn „der Widerstand der Vermögenden und ihrer Lobbyisten wird es verhindern.“ Erfolgreicher sei deshalb der Ansatz bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, bei der ein Reformierungsgebot durch das Bundesverfassungsgericht zu erwarten ist.
Es gibt sie also: Konzepte für den Umgang mit Überreichtum. Unterstützung finden sie laut Pater Alt nicht nur von linken Gruppen, NGOs, Gewerkschaftern oder Wissenschaftlern, sondern auch von Millionären und Milliardären selbst – im deutschen Sprachraum etwa durch den Zusammenschluss „TaxMeNow“.