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P. Andreas Batlogg zu 10 Jahren Papst Franziskus: "Er hat die Kirche jesuanischer gemacht."

Vor 10 Jahren wurde Jorge Bergoglio zum Papst gewählt. Wie fällt seine Bilanz seither aus? P. Andreas Batlogg SJ hat zwei Bücher über Franziskus geschrieben. Im Interview spricht er über die Stärken dieses Papstes, den enormen Widerstand gegen ihn innerhalb der Kirche und die Schwächen des Pontifikats.

Pater Batlogg, eine Schulnote werden Sie dem Papst für die zurückliegenden 10 Jahre nicht geben wollen? 

Nein, das steht mir auch nicht zu, aber ich bewerte das Pontifikat bisher insgesamt als gelungen, wenn auch mit Einschränkungen. 

Das müssen Sie erklären. 

Franziskus ist ein Reformpapst. Er hat frischen Wind in die Kirche gebracht und Räume geöffnet. Das hatte diese Kirche auch dringend gebraucht. Franziskus hat wieder Debatten möglich gemacht, die unter seinen beiden Vorgängern in der Kirche nicht geführt werden konnten. Hinzu kommt, dass Franziskus den Zirkus beendet hat, wie er selbst gesagt haben soll: keine Mozzetta mehr, kein pelzbesetzter Camauro, keine roten Schuhe. Er ist nicht in den Apostolischen Palast eingezogen, sein bescheidenes Auftreten ist keine Symbolpolitik, sondern ein echter Stilwechsel zu den Vorgängern. Franziskus will ein nahbares Papstamt. Er ist ein Missionar, der die Kirche zu den Menschen hin öffnet. In der persönlichen Begegnung ist er extrem eindrucksvoll. Er ist ein Menschenfänger mit einem enormen Gespür für den Augenblick. Er hat große Zeichen gesetzt, etwa als er Straftätern im Gefängnis die Füße wusch, als er bei einem Friedenstreffen im Vatikan im April 2019 vor südsudanesischen Bürgerkriegsgegnern auf den Boden fiel und ihnen die Füße küsste, oder als er in Kanada die Vertreter der indigenen Bevölkerung um Vergebung bat. Alles das sind aber nicht nur Gesten, sondern politische Botschaften. Franziskus hat die Kirche wieder jesuanischer gemacht, gerade dadurch, dass er so zielstrebig auf die Ränder der Gesellschaft, die Ränder der Welt zusteuert. 

Bewerten Sie ihn theologisch auch so stark? 

Ja, auch wenn ihn viele theologisch unterschätzen, weil er seine Theologie in Metaphern und einfache Worte kleidet. Aber seine Enzykliken sind sehr stark, er bearbeitet die großen globalen Themen: Evangelii gaudium ist das Programm für eine missionierende Kirche, das verfolgt er seither sehr konsequent. Laudato Sí, wenige Monate vor der Pariser Klimakonferenz veröffentlicht, hat Maßstäbe gesetzt für das Engagement der Kirche in ökologischen Fragen. Fratelli Tutti war genau die richtige Botschaft während der Pandemie. Ich möchte auch seinen Anstoß nennen für das Abrahamic Familiy House in Abu Dhabi: eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge zusammen auf arabischem Boden, die drei Weltreligionen gemeinsam für den Weltfrieden: Das ist großartig! Franziskus scheut auch nicht den Konflikt: Amoris Laetitia ist sicher das umstrittenste päpstliche Schreiben seit Humanae Vitae im Jahr 1968. Und als Nicht-Europäer legt er vollkommen zurecht den Finger laufend in die Wunden der Europäer, wenn er nach Lampedusa oder Lesbos fährt. 

Jetzt kommt das Aber? 

Intern tut Franziskus sich schwer. In den großen Themen ist er ungleich stärker als in der Kirchenpolitik, im katholischen Klein-Klein, wie ich das manchmal nenne. Trotzdem hat er auch hier Zeichen gesetzt: etwa dadurch, dass er den Alten Ritus, den Benedikt noch so gefördert hatte, wieder sehr stark einschränkte, gegen erhebliche Widerstände. Oder als er der Kurie ihre 15 Krankheiten vorhielt, darunter geistliches Alzheimer. Chapeau! Aber es ist offensichtlich, dass sich Franziskus mit dem Apparat schwer tut. Das gilt fürs Finanzwesen, den Wirrwarr um den Malteserorden, genauso wie um die strukturellen Konsequenzen aus den Missbrauchsskandalen. 2019 gab es den sogenannten Kinderschutzgipfel im Vatikan, der Papst hat kurz darauf das Kirchenrecht verschärft, aber der Eindruck bleibt: Es passiert wenig Wirkungsvolles. Entscheidungen werden nicht getroffen, etwa die über den Rücktritt, den Kardinal Woelki angeboten hat. Wenn er ein Reformpapst sein möchte, dann darf sich das aber am Ende nicht nur in Stimmung, sondern muss sich auch in Strukturen niederschlagen. Hier hapert es aus meiner Sicht. Und hier dürfen wir für die nächsten Jahre auch keine großen Sprünge mehr erwarten, der Papst ist 86. 

Woran liegt es, dass sich der Papst intern schwer tut? 

Die im Grunde unmögliche Kohabitation in Weiß hat ihn wohl gebremst. Es war ja die ganze Zeit die Gegenposition zu ihm als Papst im Vatikan anwesend mitsamt dessen Anhang. Dass Franziskus Georg Gänswein entmachtete, zeigt, wie sehr er sich dadurch behindert fühlte. Es zeigt auch, welchem enormem Widerstand der Papst sich innerkirchlich gegenüber sieht. Dieser Widerstand ist sicher größer als gegen jeden anderen Papst im 20. Jahrhundert. Das erklärt ein Stück weit auch seine manchmal impulsiven Machtworte. Ihm platzt immer wieder mal der Kragen, und er meint, herumrudern zu müssen. So wird er aber inkonsistent und auch widersprüchlich. 

Meinen Sie damit auch seine Bemerkungen in jüngster Zeit zum Synodalen Weg in Deutschland? 

Ja, mit dem weltweiten synodalen Prozess hat Franziskus selbst einen neuen Raum geöffnet und einen Prozess zugelassen, der unter den beiden Vorgängern nicht denkbar war. Das Signal war: Macht mal! Und dann sendet er solche Zeichen wie mit dem Brief an die deutschen Bischöfe im Sommer 2019. Da hat er sich wenig diplomatisch verhalten. Besser wäre es gewesen zu fragen: Wie kann der Papst als Symbolgestalt eine positive Dynamik in diese Entwicklung hineinbringen?  

Warum bringen die Reform-Bischöfe nicht den Mut auf und – sagen wir – weihen einfach verheiratete Männer zu Priestern? 

Weil das schon riskant wäre. Und weil Bischöfe es nicht gewohnt sind, selbst zu entscheiden, wo bisher allein Rom das Sagen hatte. Ich würde mir aber wünschen, dass die Reformer und auch der Münchner Kardinal, der ja in wichtigen Gremien sitzt im Vatikan, stärker auf den Tisch hauen und klarmachen: Wir wollen nichts Böses! Wir arbeiten an ganz konkreten Problemen der Kirche. Aber man muss auch sehen: Die deutsche Kirche hat in Rom nach dem Pontifikat Benedikts deutlich an Einfluss verloren. 

Was steckt hinter diesem Konflikt, der sich am Synodalen Weg festmacht? 

Im Grunde ist es die riesige politische Spannbreite innerhalb dieser Kirche. Da treffen Welten aufeinander: jene, die die Kirche weiter monarchisch sehen – und auf der anderen Seite die Reformer, die in Deutschland die Mehrheit stellen, unter den Laien sowieso, aber auch unter den Bischöfen – allerdings auch zähe und einflussreiche Gegner haben, die sich mit Beschwerdebriefen ständig an Rom wenden. Grundsätzlich will Franziskus diese extrem unterschiedlichen Positionen schon über Synodalität steuern und ausbalancieren, und auch das Konzept des Synodalen Wegs in Deutschland ist schlüssig. Wenn es bei der Synodalität am Ende aber nur ums Hören gehen sollte, aber nicht ums Mitentscheiden, würde der Papst sein eigenes Projekt diskreditieren. Hinzu kommt: Eine synodale Kirche braucht Zeit. Das Problem ist in meinen Augen, dass wir diese Zeit nicht mehr haben, die Leute gehen vorher einfach. Time is running out. 

Wie kann man eine so große politische Spannbreite innerhalb der Kirche überhaupt führen? 

Das ist die wesentliche Herausforderung für diesen Papst und sicher auch für seinen Nachfolger: die sehr verschiedene Sicht auf Kirche, die Konservative und Reformer haben, die unterschiedliche Geschwindigkeit von Fortentwicklung, die verschiedene Wahrnehmung von Themen in verschiedenen Regionen der Welt. Wobei man schon sehen muss: Die angeblich deutschen Themen Frauen, Sexualmoral, Laien sind auch weltweit Themen, nur in unterschiedlicher Intensität. Ich frage mich, wieso der Papst das nicht sieht und stattdessen den beim Synodalen Weg versammelten Sachverstand von Bischöfen derart diffamiert. 

Indem er es „Projekt einer Elite“ genannt hat? 

Was mir an Franziskus nicht so sehr gefällt – aber das ist vielleicht die Kehrseite seiner authentischen, unprätenziösen, spontanen Art – ist, dass er manchmal sehr salopp über wichtige Dinge spricht. Er versteht nicht, dass es problematisch sein kann, wenn er den Klapps rechtfertigt, den Eltern Kindern geben, oder sein Vergleich von Katholiken, die sich nicht wie Karnickel vermehren müssen. Vielleicht ist das der Latino in ihm. Aber das hat zur Folge, dass er theologisch unterschätzt wird. Womöglich ist es aber auch sein Affekt gegen den Apparat, die Kurie, die Strukturen und Zwänge, in denen er sich bewegt. 

Wenn Sie ins nächste Konklave blicken, was kommt da? 

Das wird sehr spannend. Nur noch 10 der Kardinäle sind von Johannes Paul ernannt, fast 70 Prozent von Franziskus selbst. Durch seine Ernennungen hat er deutlich gemacht, dass er die Kirche noch globaler aufgestellt sehen will, noch weniger europäisch oder gar italienisch – auch wenn manche Ernennung in der letzten Zeit aus meiner Sicht auch fragwürdig war. Fakt ist: Die Kardinäle des kommenden Konklave kennen sich wenig, es wird spannend, auf welchen neuen Papst und damit auf welchen Kurs sie sich einigen werden. 

Welchen Typ Papst bräuchte die Kirche aus Ihrer Sicht? 

Einen Papst, der die Kirche weiter auf dem Weg von Franziskus führt: weg vom monarchischen Prinzip, weg vom Klerikalismus, den gibt es ja nicht nur im Vatikan, auch unter Bischöfen und bei einfachen Pfarrern. Die Priester sollen in der Kirche nicht alles im Alleingang entscheiden!  Mein großer Wunsch ist, dass der synodale Prozess, der frischen Wind gebracht hat, verstetigt wird. Auch in den Strukturen, an denen Franziskus bislang scheitert. Damit wird sich der Erfolg dieses Pontifikats vielleicht erst mit dem nächsten zeigen. Denn ohne eine Veränderung der Strukturen geht Veränderung nicht. Und dann denke ich, dass wir nach dem impulsiven, missionarischen Franziskus vor allem einen guten Manager bräuchten. 

Wird Franziskus wie sein Vorgänger zurücktreten? 

Möglich ist das. Aber nicht wegen des Knies, oder weil er im Rollstuhl sitzen muss. Das wäre kein Grund für ihn, solange er im Kopf fit ist. Wenn er aber bemerken sollte, dass er da schwächer wird, wird er zurücktreten, und er wird sicher nicht im weißen Habit im Vatikan bleiben, wie sein Vorgänger. Ich wünsche mir aber noch ein paar Jahre Franziskus, dieses und nächstes Jahr werden sehr spannend wegen der Weltbischofssynoden. Bei der Amazonassynode haben sich 2/3 der Bischöfe für eine Öffnung des Zölibats ausgesprochen. Bei dieser Frage sollte Franziskus jetzt mutiger sein, denn für Priesternachwuchs reicht es nicht, nur zu beten. 

Interview: Gerd Henghuber 

 

 

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