#OutinChurch: "Haben Sie etwas bewegt, Herr Seppelt"?

Der Journalist und Filmemacher Hajo Seppelt hat im letzten Jahr für seine Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ über Homosexualität in der Kirche den Katholischen Medienpreis erhalten. Bekannt wurde Seppelt vor allem durch seine investigativen Beiträge in der ARD über Doping im internationalen Spitzensport. Ein Interview darüber, wie es zu dem Beitrag kam, und ob er etwas bewegt hat.

Wie kamen Sie auf das Thema Ihres Films über Homosexualität in der Kirche?

Es war in der Zeit von Papst Benedikt im Jahr 2013, er hatte mal wieder etwas aus meiner Sicht Frauenfeindliches von sich gegeben. Da hatte es mir gereicht. Ich bin selbst katholisch sozialisiert, war Ministrant, Lektor und war immer noch Mitglied der Kirche, aber ich hatte diese katholische Bigotterie, diese Scheinheiligkeit immer als zutiefst heuchlerisch wahrgenommen. 2013 trat ich vor dem Hintergrund der Äußerungen von Papst Benedikt aus. Und ich hatte ich ein Gefühl, dass diese Verlogenheit auch mal in ein journalistisches Projekt münden könnte: Ich dachte, über die Thematik Homosexualität in der Kirche müsste man mal was machen, und so begann ich 2013 mit Recherchen. Damals war es aber unglaublich schwierig, letztlich gelang mir nur der Kontakt zu einer einzigen Person. Dann kam eh das große Thema Doping in Russland, das mich einige Jahre beschäftigte, und erst 2020, nachdem ich meine eigene Firma gegründet hatte, konnte ich eine Mitarbeiterin, Katharina Kühn, auf das Thema neu ansetzen. Dann ging es aber schnell. 2021 meldete sich der Kontakt von 2013 erneut und meinte: jetzt sei die Zeit reif. Es hatte kurz vorher die Aktion #actout im SZ-Magazin gegeben, bei der sich 185 Schauspielerinnen und Schauspieler outeten. Und so eine Initiative hatte sich nun in der Kirche gegründet. Über die fanden wir nun recht schnell Kontakt zu queeren Mitarbeitern der Kirche.

Was war jetzt anders als noch acht Jahre vorher?

Der Leidensdruck vielleicht, das gesellschaftliche Klima, die Verzweiflung an der bornierten Haltung der Kirche beim Thema Homosexualität, ich weiß es nicht genau. Aber Angst vor Konsequenzen war immer noch da, deshalb stand für uns von Anfang an fest, dass nur eine große Zahl an Protagonisten im Film Schutz vor negativen Konsequenzen für die Betroffenen bieten kann. Wir haben über den Film dann monatelang mit der ARD verhandelt und im September 2021 mit dem Drehen begonnen.

Was war das Besondere an diesem Film für Sie?

Dieser Film war, anders als die Doping-Beiträge, nicht wirklich investigativ. Wir haben im journalistischen Sinn nichts aufgedeckt – außer der biologischen Tatsache, dass auch in der Kirche ein bestimmter Prozentsatz der Mitarbeiter schwul, lesbisch, transsexuell, eben queer ist. Wir haben im Grunde nur Menschen über ihr Leben erzählen lassen. Das Herausfordernde war die große Zahl: so viele Menschen - am Ende 100 - zu finden, zu überzeugen, zu motivieren, dass sie mitmachen, zu treffen, zu interviewen. Es sind gerade diese persönlichen Zeugnisse, die den Film aus meiner Sicht so eindrucksvoll machen.

Die Quote war jedenfalls ziemlich gut.

Sie war sehr gut, auch wenn im Senderverbund vor der Ausstrahlung nicht alle überzeugt waren. Wir kämpften hart um den Sendeplatz nach der 20-Uhr-Tagesschau, letztlich gab es eine tolle Quote, auch vor dem Hintergrund, dass mit der „Wannsee-Konferenz“ im ZDF parallel eine hervorragende fiktionale Produktion lief. Dennoch war „Wie Gott uns schuf“ in den ersten Monaten des Jahres 2021 die meistgesehene Dokumentation im deutschen Fernsehen.

Welche Resonanz gab es aus der Kirche?

Von den Amtsträgern kam wenig. Wir hatten im Vorfeld alle 27 Bischöfe um Interviews gebeten, mache antworteten gar nicht, andere sagten ohne Erklärungen ab, manche verwiesen auf andere, die für „dieses Thema zuständig“ seien. Als ob nicht ein jeder Bischof für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig wäre! Aber immerhin: Bischof Helmut Dieser aus Aachen setzte sich vor unsere Kameras, räumte die Fehler der Kirche ein, er entschuldigte sich sogar bei den queeren Menschen für das durch die Kirche erlittene massive Unrecht. Das fand ich bemerkenswert. Aber die allermeisten anderen schwiegen, auch nach der Ausstrahlung.

Wie bewerten Sie diese Nicht-Reaktion?

Der Klerus ist offenbar immer noch eine Welt für sich, und viele sehen offenbar immer noch nicht, wie menschenverachtend diese Sexualmoral ist. Die Bevölkerung ist da viel weiter als viele Kleriker.

Haben Sie eine Gemeinsamkeit über die hundert Protagonisten hinweg festgestellt?

Auch wenn es Abstufungen gibt: Kein einziger, keine einzige hat seine bzw. ihre Homosexualität oder Transsexualität bisher wirklich offen leben können. Sie mussten ihre sexuelle Identität oder Orientierung ganz oder in Teilen - im Berufsleben vor allem - verstecken, sie mussten heucheln, lügen – und undercover unterwegs sein.

Hatten Ihre Protagonisten Nachteile durch die Interviews?

Ich würde sagen: In keinem Fall gab es erhebliche Konsequenzen, das heißt arbeitsrechtliche Schritte wie etwa eine Kündigung. Dass nicht jedes Outing von Vorgesetzen, Mitbrüdern bzw. -schwestern oder Kollegen gutgeheißen wurde, kann man sich vorstellen.

Hat Ihr Film „Wie Gott uns schuf“, hat die Initiative der Betroffenen #OutinChurch dennoch etwas bewegt?

Von der Rechtslage bisher noch nicht, das kirchliche Arbeitsrecht gilt ja nach wie vor. Im Bewusstsein vieler Verantwortlicher in der Kirche dürfte die Aktion allerdings schon etwas verändert haben, das zeigen die jetzigen Diskussionen um die Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts, die Reform scheint ja bald zu kommen. Auch die Präsenz von Kardinal Marx bei der Preisverleihung und seine Worte dort waren interessante Zeichen. Insgesamt haben der Film „Wie Gott uns schuf“ und die Betroffenen-Initiative #OutinChurch der Kirche in Deutschland, womöglich auch darüber hinaus, schon einen sehr starken Impuls gegeben, würde ich sagen.

Interview: Gerd Henghuber 

Hinweis der Redaktion: Die deutschen katholischen Bischöfe haben sich Ende November 2022 auf den Entwurf eines neuen Arbeitsrechts für die rund 800.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der katholischen Kirche und bei der Caritas geeinigt. Wer bei der katholischen Kirche arbeitet und in zweiter Ehe oder in einer homosexuellen Partnerschaft lebt, muss künftig nicht mehr mit einer Kündigung rechnen. Eine zentrale Neuerung der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes" ist, dass die private Lebensgestaltung der Mitarbeiter künftig keinen Anlass mehr zu Kündigungen bieten soll. "Der Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegt keinen rechtlichen Bewertungen und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers", teilte die Deutsche Bischofskonferenz in Bonn mit: "Diese rechtlich unantastbare Zone erfasst insbesondere das Beziehungsleben und die Intimsphäre." Etliche Bistümer haben angekündigt, die Reform bereits ab 2023 umzusetzen.

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