• Katharina Schulze von den Grünen bei ihrem Impulsvortrag in der Hochschule für Philosophie.
  • Lukas Brand, Frank Meik, Pau-Bernhard Kallen, Dieter Spath (v.l.n.r.)
  • Nikolaus v Bomhard, Thomas Rusche, Kardinal Turkson, Ulrich Hemel (v.l.n.r.)
  • Kardinal Peter Turkson
  • Kardinal Reinhard Marx.
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Ökologie-Tagung: „Die Systemdebatte ist nicht vorüber!“

„Die Systemdebatte ist nicht vorüber!“ mit dieser Feststellung prägte Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, die zweitägige Tagung „Integrale Ökologie im Digitalzeitalter“ an der Münchner Hochschule für Philosophie. Ein Fortschrittsstreben, das Wohlstand nur durch materiellen Wohlstand definiere, gefährde den Zusammenhalt vieler Gesellschaften und die Zukunft des gesamten Planeten. Begriffe wie Kapitalismus oder Sozialismus seien dabei nicht mehr hilfreich und gehörten, so Marx, „ins Archivbuch der Geschichte“ – nötig sei dafür eine neue Fortschrittsidee, in der neben der Ökologie auch die menschliche „Kultur, Identität, das eigene Selbstbewusstsein und die Würde des Menschen“ einen besonderen Stellenwert hätten.

Doch wie könnte eine solche Fortschrittsidee aussehen? Um dieser Frage nachzugehen, hatten die Päpstliche Stiftung „Centesimus Annus Pro Pontifice“, die Hochschule für Philosophie und das Netzwerk „European Liberal Education Alliance“ hochkarätige Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu einem intensiven Gedankenaustausch geladen:  Unternehmerpersönlichkeiten wie Paul-Bernhard Kallen (Hubert Burda Media) und Nikolaus von Bomhard (MunichRe),  Politiker wie Katharina Schulze (Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayer. Landtag) und der Klimaexperte der FDP-Bundestagsfraktion Lukas Köhler diskutierten mit Wissenschaftlern wie Dieter Spath (Vorsitzender der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften), dem Medienethiker Alexander Filipovic, dem Experten für Kreislaufwirtschaft Martin Stuchtey und Ulrich Hemel (Stiftung Weltethos).

Wichtige Impulse lieferte dabei Pater Bernd Hagenkord SJ, ehemaliger Chef der deutschen Abteilung von Radio Vatikan, der nun den synodalen Weg der Deutschen Bischofskonferenz begleitet: auch dieser Prozess, so Hagenkord, sei ein Anwendungsbeispiel der Enzyklika Laudato Si´. „Bekehrung“ sei ein Schlüsselbegriff dieses Lehrschreibens von Papst Franziskus: „Bekehrung“ als Absage an kirchliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Allmachtsphantasien – aber auch eine Absage an ein gemächliches Weiter-so! Grundvoraussetzung dafür sei ein offener wertschätzender Dialog: „und über einen Dialog kann man nicht verfügen, auf ihn muss man sich einlassen“. Dies unterstrichen auch die Bildungsexpertin Barbara Schellhammer, seit kurzem die erste Professorin an der Hochschule für Philosophie und Leiterin des Zentrums für Globale Fragen, und Sascha Spoun, Präsident der Leuphana Universität Lüneburg.  Besonders gefährlich sei dabei die Diskursverweigerung vieler Populisten, die nicht einzelne konkrete Fehler, etwa bei Maßnahmen des Klimaschutzes, thematisierten, sondern den Diskussionspartner zum Lügner erklärten: „Sie wollen den gesellschaftlichen Diskurs zerstören, weil sie ihn nicht beherrschen.“ Bildung ist aber nicht nur eine „Aneignung von Wissen und Fähigkeiten“, sondern bedeute auch ein ebenso aktives „Zurücklassen und Loslassen“ von Vorurteilen und Halbwahrheiten, ergänzte Friedrich Bechina, der als Untersekretär der Bildungskongregation für weltweit über 220.000 katholische Schulen mitverantwortlich ist.

Das immer wieder geforderte „vernetzte Sehen, Fühlen und Denken“ müsse dann auch in eine aktive Politik münden, die richtigen Rahmenbedingungen setze, forderte Katharina Schulze. Eine angemessene CO2-Abgabe, die von zahlreichen Teilnehmern gefordert wurde, sei ein zentrales Element solcher Rahmenbedingungen, unterstrich der Gastgeber der Veranstaltung, Hochschulpräsident Johannes Wallacher und machte klar: die Bepreisung von Kohlendioxid sei keine Steuer, sondern ein notwendiger Ausgleich, der das Schadenspotential von Klimagasen dort sichtbar macht, wo sie entstehen. Und auch die Industrie ist gefordert: „Technik ist nicht wert-neutral, sehen Sie nur, was für unterschiedliche Werte in diverse Automodelle hineinkonstruiert werden, was für unterschiedliche Gesellschaftsbilder die Produkte ausdrücken können!“, so Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. 

Damit die wichtige Idee einer integralen Ökologie nicht zu einem „unverbindlichen Breitbandbegriff“ werde, wie der Sozialethiker Markus Vogt warnte, sei der interdisziplinäre und gesamtgesellschaftliche Diskurs von enormer Bedeutung, unterstrich auch ein besonderer Gast aus dem Vatikan: Kardinal Peter Turkson, Präfekt des von Papst Franziskus geschaffenen „Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen“. Gerade an seinem Lebenslauf zeigte sich der Umfang des weltweiten Wandels: Peter Kardinal Turkson war als Sohn eines einfachen Minenarbeiters in einer Bergwerkssiedlung in Ghana auf die Welt gekommen, nun führt er im Vatikan Gespräche mit Erdölunternehmen und Bergbaukonzernen, um auch sie in den notwendigen Dialog einzubinden – denn jeder sei aufgerufen, umzukehren und den notwendigen sozial-ökologischen Wandel zu unterstützen.  

Stefan Einsiedel (Zentrum für Globale Fragen, Themenfeld Umwelt / Projekt "Postwachstum")

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