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Kultur und Veränderung

„Irgendwann werden – ziemlich weit ‚unten‘ – einige Bischöfe anfangen, Frauen zu weihen; dann gibt es viele Blitze aus Rom und viele lange Artikel pro und contra – bis irgendwann die ‚Erlaubnis‘ kommt“, schreibt Chefredakteur Stefan Kiechle SJ in seinem Editorial in der aktuellen Ausgabe von „Stimmen der Zeit“. Die Gesellschaft und ihre kulturelle Ausprägung entwickeln sich hierzulande rapide – dementsprechend sind derzeit viele Katholiken in Deutschland frustriert und wenden sich ab. Anderswo meint man kopfschüttelnd, im Lande der Reformation protestantisiere sich die katholische Kirche, drifte weg von der weltweiten Catholica, spalte sich. Prallen da sehr ungleichzeitige Kulturen aufeinander? Und sind eigentlich die Reformer die wirklichen Spalter?

Hierzulande fordern viele die Priesterweihe der Frau – mit sehr guten Gründen: Die Gesellschaft und das Menschenbild haben sich fundamental geändert; alle sollen gleiche Rechte haben, ohne Diskriminierung; Frauen bereichern das Amt; die Kirche braucht mehr Geweihte. Nun sandte Papst Franziskus nach seinem Amtsantritt starke Signale der Kirchenreform und weckte damit große Hoffnungen, auch solche auf die Frauenordination, aber jetzt – so sieht es aus – ist Stillstand, und der Papst unternimmt einfachhin nichts. Viele verstehen das nicht und sind enttäuscht.

Könnte dahinter auch ein kulturelles Missverstehen liegen? Etwa so: Frauen- und Männerbilder sind tief in der Psyche sitzende kulturelle Muster, in Jahrtausenden geprägt. Sie ändern sich bei uns gerade rapide, aber in anderen Kulturkreisen noch weniger. Dort bleibt es vorerst bei alten Rollen und Aufgaben für Frauen und Männer, Gerechtigkeits- und Machtfragen entzünden sich daran noch kaum. Oder: In anderen Weltgegenden bestehen kulturell einfach sehr andere Nöte und Sensibilitäten – oft existenzielle, die mit dem nackten Überleben zu tun haben. Sieht man aus solchen Gründen in Rom und anderswo einfach keinen Handlungsbedarf für diese bei uns brennenden Fragen? Deutlich ist: Hierzulande sind viele frustriert, empört, ja in ihrer Würde verletzt, und sie wenden sich ab. Anderswo meint man kopfschüttelnd, im Lande der Reformation protestantisiere sich die katholische Kirche, drifte weg von der weltweiten Catholica, spalte sich. Prallen da sehr ungleichzeitige Kulturen aufeinander?

Nicht nur Deutsche starren gerne auf Hierarchien: „Von oben“, von Bischöfen oder vom Papst, müssten neue Regeln und Reformen „endlich“ kommen – ist das nicht eine auch klerikale Kultur? Kulturen ändern sich jedoch „von unten“: Seit Jahrzehnten gibt es „unten“ Ministrantinnen, anfangs gegen heftige Verbote „von oben“. Als dann diese doch recht bescheidene Neuerung fest etabliert und gar nicht mehr wegzudenken war, „erlaubte“ Rom sie offiziell, mit reformerischem und generösem Gestus – und merkte nicht, wie lächerlich diese „Entscheidung“ wirkte. Oder: Als der liberal-säkulare Staat längst akzeptiert war und die Kirche mehr Respekt gegenüber anderen Religionen entwickelt hatte, änderte das Vatikanum II die Lehre über die Religionsfreiheit – es brauchte sehr lange, bis eine kulturell längst geschehene fundamentale Änderung offiziell vollzogen wurde. Der Casus zeigt, dass in der Kirche Lehre und Recht – auch diese sind „Kultur“ – sich tatsächlich ändern, wenn auch meist mit peinlicher Verspätung.

Kultur ändert sich von unten: Einerseits fangen Frauen an vielen Orten der Welt einfach an, Gottesdienste zu leiten, auch mit Mahlfeiern, die des Mahles Christi gedenken – ob diese Feiern dann „sakramental“ sind, interessiert weniger. Auch gibt es vielfältige Liebesbeziehungen; wo es möglich ist, heiraten katholische Paare, wo nicht, erbitten sie den Segen – den Unterschied zur sakramentalen Ehe sieht man weniger. Werden die sieben definierten Sakramente, in Differenz zu anderem, noch verstanden? Ist nicht alles kirchliche Handeln sakramental? Kulturen ändern sich, und wenn das Kirchenrecht und die Doktrin nicht mehr auf die Wirklichkeit passen, schert das die Wirklichkeit wenig. Andererseits gibt es tief in der katholischen Psyche oder Kultur doch bleibend ein Verständnis und auch ein Bedürfnis nach dem Priestertum – und daher zumindest in einigen Kulturen die dringliche Forderung, Menschen jeden Geschlechts und jeden Familienstandes zu weihen. Und wenn sich „oben“ die Kirche verweigert? Unbezweifelbar ist, dass „unten“ die christlich-kirchliche Kultur weiterlebt: schon jetzt in neuen Formen, Riten, Ämtern…

„Rom“ schleudert immer wieder mal Blitze, um „unten“ die „Missstände“ zu bekämpfen: gegen die Idee, Frauen zu weihen; gegen die Segnung homosexueller Paare – beides sei gar von Gott verboten; gegen die Kommunion für Nichtkatholiken. Medien brauchen ja Konflikte, um sich zu verkaufen, also bringen sie seitenlange Empörungsartikel. Warum eigentlich? Sollte man solche realitäts- und kulturfremden Aktionen nicht weniger ernst und damit „Rom“ weniger relevant nehmen? Deutsche und römische Kultur sind hierarchie- und rechtsorientiert; anderswo schüttelt man den Kopf und geht weiter.

Gesellschaftliche und kulturelle Realitäten ändern sich gewaltig. Darin in einfacher und überzeugender Weise christlich zu leben, in lokal differenzierten Kulturen, ist Aufgabe aller Getauften. Hierzulande will sich die Kirche auf die veränderte Kultur einstellen – und lernt einiges von den Kirchen der Reformation. Irgendwann werden – ziemlich weit „unten“ – einige Bischöfe anfangen, Frauen zu weihen; dann gibt es viele Blitze aus Rom und viele lange Artikel pro und contra – bis irgendwann die „Erlaubnis“ kommt. Auf unseren „synodalen Weg“ schauen weltweit viele Kirchen erwartungsvoll, denn auch deren Kulturen entwickeln sich rapide. Sind die viel beklagten „Spalter“ gar nicht die Reformer, sondern die, welche die sich verändernden Kulturen nicht wahrnehmen wollen und alles Vorangehen verweigern?

Autor:

Stefan Kiechle SJ

Pater Stefan Kiechle SJ ist 1982 in den Jesuitenorden eingetreten und wurde 1989 zum Priester geweiht. Er war von 1998 bis 2007 Novizenmeister und hat in verschiedenen Aufgaben in der Hochschulseelsorge und Exerzitienbegleitung gearbeitet. Von 2010 bis 2017 war er Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten. Er ist Delegat für Ignatianische Spiritualität und Chefredakteur der Kulturzeitschrift "Stimmen der Zeit".

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