• Zum dritten Mal traf sich Russlands Präsident Wladimir Putin am 4. Juli 2019 mit Papst Franziskus.

Kreml und Kirche

In einer Symphonie zwischen Orthodoxie und großrussischem Nationalismus bilden Kreml und Kirche eine „heilige Allianz“, schreibt Klaus Mertes SJ. In seinem Editorial für die aktuelle Ausgabe von "Stimmen der Zeit" findet er deutliche Bezüge von Putins Staatsführung zur Philosophie Iwan Iljins (1883-1954), der einst prophezeite, dass Russland nicht dem westlichen Liberalismus folgen, sondern von einer „demokratischen Diktatur“ befreit werde, geleitet von einem „Führer, der weiß, was zu tun ist“.

Kulturpolitisches Signal für eine antiliberale Ausrichtung in Russland war 2005 die Überführung der sterblichen Überreste des Exilphilosophen Iwan Iljin (1883-1954) aus der Schweiz nach Moskau. Dort wurden sie mit feierlichem Pomp auf dem Friedhof des Donskoi-Klosters bestattet. Iljin gilt heute als der Hausphilosoph des russischen Präsidenten. Als heftiger Gegner der Oktoberrevolution von 1917 wurde er 1922 aus Russland verbannt. In Deutschland angekommen verfasste er einen Aufruf zum Kampf gegen das bolschewistische Russland. Darin formulierte er - gegen Tolstoi - eine nach seiner Auffassung mit dem Christentum vereinbare "virile" Moral, die Gewalt im Namen des Guten rechtfertigt. Der russische Religionsphilosoph Nikolaj Berdjajew (1874-1948), der sich unter anderem auch auf Dostojewski bezieht, kritisierte Iljins "martialisches Christentum" als eine weiße Variante des roten Totalitarismus. So ist es - nebenbei bemerkt - ideologisch nicht ganz konsistent, wenn der Kreml wenige Tage nach Putins Blitzbesuch am 4.7.2019 im Vatikan stolz verlauten ließ, auf dem Tisch von Papst Franziskus lägen immer Bücher von Tolstoi und Dostojewski.

Den Nationalsozialismus begrüßte Iljin: "Patriotismus, Glaube an die Identität des deutschen Volkes und an die Kraft des germanischen Genius, Ehrgefühl, Bereitschaft zur Selbstaufopferung, Disziplin, soziale Gerechtigkeit, klassenübergreifende, brüderliche und nationale Einheit - dieser Geist ist die grundlegende Substanz der gesamten Bewegung." Allerdings weigerte sich Iljin, russische Emigranten aktiv für die NS-Ideologie zu gewinnen, und musste deswegen Deutschland 1938 verlassen. Rückblickend kritisierte er die Fehler des Nationalsozialismus, blieb aber den eigenen Grundinspirationen treu. Seine Texte klingen heute wie prophetische Ankündigungen: Nach einem "einige Jahre währenden Chaos" werde eine "demokratische Diktatur" Russland vom Chaos befreien, und eben nicht eine "formale Demokratie" nach westlichem Vorbild. Geleitet werde sie dann von einem "Führer, der weiß, was zu tun ist ...; dient, statt Karriere zu machen; kämpft, statt eine Statistenrolle zu spielen; den Feind schlägt, statt leere Worte zu verkünden; lenkt, statt sich ans Ausland zu verkaufen" (Zitate in Michel Eltchaninoff: In Putins Kopf. Stuttgart 2016, 48 ff.).

In Russland bilden Kreml und Kirche heute eine heilige Allianz unter dem Vorzeichen einer "Symphonie" zwischen Orthodoxie und großrussischem Nationalismus. Warnende Stimmen wie die des 1990 ermordeten orthodoxen Priesters Alexander Men scheinen verklungen zu sein. Aus den Erfahrungen der russischen Geschichte hatte er geschlossen, diese müssten "zum Verzicht auf die Idee der Staatsreligion führen, die so viele Analogien mit dem Stalinismus hatte, egal ob es dabei um Calvins Genf oder Khomeinis Teheran geht" (Alexander Men: Stellen wir die Altäre auf. In: Igor Pochoshajew. Frankfurt am Main 2007, 124). Heute muss amn mit der Lupe nach Gesprächspartnern seines Formates in der russischen Orthodoxie suchen.

Einen Tag nach Putins Blitzbesuch waren ukrainische Bischöfe zu Gast im Vatikan. Franziskus kritisierte die hybride Kriegsführung im Osten der Ukraine, ohne Russland beim Namen zu nennen. Es ist in der Tat nicht leicht, die Fäden im Dialog zwischen katholischer Kirche und russischer Orthodoxie zurzeit so zu ziehen, dass sich die Knoten lösen statt sich noch weiter zuzuziehen. Da könnte sich als Möglichkeit die gemeinsame Front gegen ein Zerrbild des "westlichen Liberalismus" anbieten, wie es nicht nur Putin und Hierarchen der Orthodoxie, sondern auch Kreise in der katholischen Kirche bis in den Vatikan hinein gerne zeichnen. Ein Blick auf Iljin zeigt, dass solche gemeinsamen Fronten nichts Neues wären, und dass sie auch nichts Gutes vollbracht haben. Martialisches Christentum hetzt im Fall der Fälle auch Völker gegeneinander, die sich als christlich bezeichnen. Der gemeinsame Feind kittet nur oberflächlich zusammen.

Autor:

Klaus Mertes SJ

Pater Klaus Mertes SJ studierte nach seinem Abitur 1973 klassische Philologie und Slawistik in Bonn, nach seinem Eintritt in den Jesuitenorden 1977 Philosophie in München und Theologie in Frankfurt. Seit 1990 war er im Schuldienst tätig, zunächst 1990-1993 an der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg, 1994-2011 am Canisius-Kolleg in Berlin, dessen Rektor er seit 2000 war. Von 2011 bis 2020 war er Kollegdirektor am internationalen Jesuitenkolleg in St. Blasien. Derzeit ist er Superior der Jesuitenkommunität in Berlin-Charlottenburg und Redaktionsmitglied der Kulturzeitschrift "Stimmen der Zeit"

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