Meine Schule, das vom Jesuitenorden getragene Canisius-Kolleg in Berlin, verlangt von den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe, ein dreiwöchiges Sozialpraktikum zu absolvieren, um die eigene soziale Wohlfühlblase einmal zu verlassen. Für mich war es ein Sozialpraktikum mit Folgen, denn es führte mich im Januar 2023 zum Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) in Berlin. Meine Wahl fiel auf den JRS, weil ich bis zu diesem Zeitpunkt nur wenig direkte Kontakte zu Geflüchteten und Einblicke in die Lebensrealität und Herausforderungen hatte. Und dort wurde für mich das mit dem Sozialpraktikum verbundene Ziel voll erreicht, sich in sozialen Einrichtungen zu engagieren, welche die Begegnung mit Menschen ermöglichen, die ausgegrenzt, benachteiligt, tabuisiert, ihrer Rechte und Würde beraubt werden oder aus anderen Gründen unter schwierigen Bedingungen leben müssen.
Diese Einblicke habe ich in den drei Praktikumswochen bekommen. Und ich habe die Menschen gesehen, um die es beim JRS geht: Nach Deutschland geflüchtete Menschen mit kleineren oder größeren Problemen, die meist im gesellschaftlichen Diskurs nur als Zahlen und Statistiken in Tageszeitungen oder den Sozialen Medien auftauchen.
Eine Begegnung ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ich habe einen Mann mittleren Alters auf ein Berliner Sozialamt begleitet. Er ist wohnungslos geworden, nachdem ihm seine Wohnung gekündigt wurde, jetzt brauchte er Wohngeld. Doch schon vier Sozialämter haben sich in einem Zeitraum von knapp zwei Monaten für örtlich unzuständig erklärt. An dem Tag das fünfte in Folge. Das Sozialamt, bei dem er vorher war, würde eine neue Richtlinie aus dem Jahr 2019 nicht kennen und sei eigentlich zuständig, wurde uns dann am Tresen erst auf meine Nachfrage hin schriftlich bescheinigt. Er war verzweifelt, frustriert und wütend und ist dann weggegangen. Ich bin mit der Frage im Kopf wieder ins JRS-Büro gefahren: „Wie soll jemand, der weder Deutsch kann noch Erfahrungen mit einem bürokratischen System hat, ohne Hilfe hier in Deutschland bei solchen Vorfällen durchkommen?“ Später am Nachmittag hat er nochmal angerufen und sich bei mir bedankt. Aber ich konnte seine Wut irgendwie nachvollziehen, obwohl ich versucht habe, ihn zu beruhigen. An diesem Tag habe ich gesehen, wie der Verwaltungsapparat teilweise auf „Papierebene“ mit einzelnen menschlichen Schicksalen umgeht.