Integration und Partizipation

Es war vor drei Jahren. Ich war damals Moderator des Formation Center Munich. Wir hatten 14 Mitbrüder aus dem Philosophiestudium in Krakau eingeladen, um gemeinsam drei Tage lang das Thema „Global Challenges and Models for a Future in a World of Change“ zu behandeln. Am zweiten Tag, es war der 28. September 2017, machten wir eine Exkursion in die Städtische Flüchtlingsunterkunft in der Ottobrunnerstraße, in welcher der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) juristische und soziale Hilfsangebote macht. Unser Gedanke dabei war: die polnischen Mitbrüder sollten einmal reale Geflüchtete – darunter auch Muslime – kennen lernen, gegen deren Aufnahme sich ja die polnische Regierung aus religiös-nationalen Gründen so vehement wehrt.

Zum Begegnungstreffen waren aus der Unterkunft etwa 15 Geflüchtete gekommen. Je zur Hälfte stammten sie aus dem Vorderen Orient (Syrer, Iraker, Afghanen) und aus Afrika. Mustafa, ein 70-jähriger Syrer, begann: „Ich und meine beiden Söhne gehen sofort wieder zurück, sobald wir in unserer Stadt am Rande von Damaskus wieder sicher und frei leben können.“ Er schien – wegen seines Alters, aber auch wegen seiner besonnenen Art – so etwas wie der Elder Statesman unter den geflüchteten Muslimen zu sein. Bevor wir zu einem gemeinsamen Essen in ein griechisches Lokal aufbrachen, wandte er sich an mich, sah mich an und fragte: „Können wir uns wiedersehen?“ Ich war einverstanden. Aber mir war und blieb klar: Er hat ganz bewusst mich gewählt. Vielleicht weil ich sein Alter habe und auch so etwas wie der Anführer (der Gruppe junger Jesuiten) war.

Seither trafen wir uns alle 14 Tage für zwei bis drei Stunden, meist um die Mittagszeit. Dabei ging es nicht primär um die Verbesserung seiner begrenzten Sprachkenntnisse. Mustafa spricht nur Arabisch und eben etwas Deutsch. Wir verstanden uns immer besser und wurden wirkliche Freunde. Die einfachen Sätze begleiteten wir mit Gesten und mit einem Lachen. Immer wichtiger wurde uns das Vergleichen der Kultur und Lebenswelt in Syrien und hier in München. Wir besuchten Museen. Zum Beispiel das Münchner Stadtmuseum, wo wir an Exponaten die Geschichte jener Stadt erklärt bekamen, in die Mustafa mit seinen beiden Söhnen am 4. Januar 2016 über die Balkanroute gekommen war.

Und wir fuhren zum Nordfriedhof, wo wir Zaungäste einer Beerdigungsfeier waren. Mustafa erklärte mir, mit welchen Ritualen in seiner Heimat die Beerdigungen ablaufen. Und wir besuchten immer wieder Kirchen, zündeten dort eine Kerze an und beteten still. Mustafa, selbst sunnitischer Moslem, der – anders als seine Söhne – den Ramadan hielt, erzählte mir von den katholischen und orthodoxen Priestern, mit denen er sich in seiner Heimat getroffen und gut verstanden hatte. Und er zeigte mir auf seinem Smartphone Fotos, auf denen seine Frau, die er in Syrien zurücklassen musste, ebenfalls in christlichen Kirchen Kerzen anzündete. 

Einen Wunsch äußerte er immer nachdrücklicher: endlich aus der Unterkunft mit 170 Geflüchteten in eine eigene Wohnung ausziehen zu können. Ich schrieb Mails an die benachbarten katholischen Pfarreien und die Liegenschaftsabteilung der Erzdiözese, ob es nicht irgendwo leerstehenden Wohnraum gebe – ich bekam nie eine Antwort. Und ich ging zur Besichtigung von Wohnungen mit, welche sie vom Sozialamt München angeboten bekamen. Aber die bekamen wohl immer Geflüchtete, die es nötiger hatten oder irgendwie besser passten. Ich fühlte mich richtig ohnmächtig. Selbst dieser äußere Schritt zur Integration war so schwierig!

Es war um seinen 70. Geburtstag, Ende November, als sich sein Gesicht aufhellte. Nach ihrer 6. Wohnungsbesichtigung waren sie endlich zum Zuge gekommen. Und er fügte hinzu: Auch der Antrag auf Familienzusammenführung hatte Erfolg; seine Frau würde im Frühjahr nach Deutschland kommen. Ich wollte ihn spontan umarmen, stoppte mich freilich wegen des Corona-Abstands. Ja, dann würden wir seinen 70. Geburtstag erst richtig feiern können, gemeinsam, in ihrer eigenen Wohnung. Ich freue mich schon jetzt darauf, mit dabei zu sein. /
P. Rüdiger Funiok SJ (rechts im Bild)

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