• Bruder Schöpf auf der Indonesien-Reise (2023)
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Im Einsatz für Geflüchtete: „Wir lassen uns auf die Hoffnung der Menschen ein“

Als internationaler Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes JRS setzt sich Br. Michael Schöpf SJ für Geflüchtete weltweit ein. Trotz der Schicksale, mit denen er in seiner Arbeit zu tun hat, des Leids vieler Geflüchteter in ihrer aktuellen Situation und der vielen Hindernisse, die ihm seine Arbeit erschweren, sieht Bruder Schöpf viele Hoffnungszeichen in seiner Arbeit. Sie motivieren ihn, weiterzumachen. Im Interview erklärt er, wo für ihn im Einsatz für Geflüchtete der Kern der christlichen Hoffnung konkret wird.

Bruder Schöpf, an vielen Orten der Welt müssen Menschen fliehen. Tagein, tagaus sind Sie mit ihrem Schicksal konfrontiert und setzen sich für sie ein. Wo erleben Sie Hoffnungszeichen in Ihrer Arbeit?

Ich erinnere mich gut an meine Anfänge beim JRS in Ostafrika in den 1990er Jahren. Wir arbeiteten mit Geflüchteten, die gerade den Genozid in Ruanda überlebt hatten und in Nairobi in der Stadt zurechtkommen mussten. Da war zum Beispiel eine sehr gute Bäckerin, die aber kein Equipment für eine Bäckerei hatte. So haben wir die Basis für ein Einkommen zusammen mit ihr gestaltet, in ihrem Fall durch einen kleinen Laden und bei anderen Geflüchteten dadurch, dass wir selber einen Laden eröffnet haben, in dem sie ihre Produkte anbieten konnten.

Das ist nur ein konkretes Beispiel von vielen. Ich treffe oft Leute, die Unglaubliches erlebt haben, deren Leben von einem Tag auf den anderen durcheinandergeworfen wurde. Sie müssen sich fragen: Wie kann ich jetzt weiterleben? Wie kann ich mir ein neues Leben aufbauen?

Wie begegnen Sie Menschen an einem solchen Punkt in ihrem Leben?

Was in dieser Situation hilft, ist die Betrachtung des Barmherzigen Samariters im Evangelium. Das ist etwas ganz Simples. Gehe ich vorbei oder nehme ich wahr? Wenn man wahrnimmt, dann beginnt eine Beziehung, zum Beispiel mit der Bäckerin, an die ich mich sehr gut erinnere. In dieser Beziehung lasse ich mich auf eine Lebensrealität ein. Ich gehe ein Stück weit ein gemeinsames Leben mit diesen Menschen. Auf dem Stück des gemeinsamen Weges kann ich entdecken, dass diese Person nicht dazu geschaffen wurde, um durch den Genozid in Ruanda traumatisiert zu sein. Sie ist dafür geschaffen worden, aus sich selber heraus ein erfülltes und volles Leben zu führen, so wie es von Gott für sie gedacht war. Dadurch entdeckt man gemeinsam, wofür wir eigentlich geschaffen worden sind, ich genauso wie sie. Das ist der Kern der Hoffnung, weil wir zusammen über das hinaussehen können, was scheinbar so unausweichlich die aktuelle Realität prägt. Wir müssen nicht in dieser Realität gefangen sein.

Eines der Hauptziele des JRS ist es, Menschen auf der Flucht zu begleiten. Warum schenkt das Dasein, das Begleiten allein schon Hoffnung?

Man kann sagen, jemand braucht eigentlich nur eine Dienstleistung zum Überleben, zum Beispiel Hilfsgüter wie Wasser oder Essen oder einen Schlafplatz für die nächste Nacht. In extremen Notsituationen ist das natürlich das Erste, was hilfreich ist. Wenn ich aber nur auf dieser Ebene helfe, nehme ich die Person in ihrem Ganzen nicht wahr, mit ihren Erwartungen und Hoffnungen für ihr Leben. Doch das ist unser Ziel und auch das Spezifische, was eine kirchliche und jesuitische Organisation einbringen kann: Wir sehen, dass es nicht einfach mit einer Dienstleistung getan ist, sondern dass man sich auf die Hoffnung des ganzen Menschen einlassen muss.

Geflüchtete mussten alles zurücklassen und haben oft Schreckliches erlebt. Wie schaffen sie es, nicht aufzugeben?

Wir können nicht immer helfen und das sind die schwierigsten Situationen. Ich war vor eineinhalb Jahren in Indonesien und habe zusammen mit dem dortigen Team eine Familie besucht, die in einem der ärmeren Viertel von Jakarta wohnte. Wir haben die Familie über viele Monate unterstützt und für den einen Raum, in dem sie lebte, die Miete bezahlt, ungefähr 70 Euro im Monat. Bei meinem Besuch ging es darum, dass wir keine Spenden mehr für diese 70 Euro hatten und es der Familie sagen mussten. Die Konsequenz war klar: Die Familie wird mit ihrem Baby in den kommenden Monaten auf der Straße leben. Sie können sich vorstellen, dass das ein sehr schweres Gespräch war. Die Mutter hat geweint. Am Ende des Gespräches sagte sie dann: Der Unterschied zwischen dem JRS und anderen Organisationen ist, dass ihr kommt und mit uns darüber sprecht und nicht einfach einen Brief schickt. Das ist ein konkretes Beispiel, aber auch ein Bild dafür, was Hoffnung in Situationen bedeutet, die ausweglos scheinen. Egal was passiert, wir müssen miteinander in Beziehung bleiben und können das Problem nicht dadurch lösen, dass wir Geflüchtete unsichtbar machen, vergessen oder abschieben. Das ist übrigens oft konträr zu aktuellen Politikentwürfen.

Menschen auf der Flucht bringen oft auch ihren Glauben mit. Welche Rolle spielt er beim Hoffen?

Für viele Menschen, egal welcher Konfession oder welcher Religion, ist der Glaube eine unglaubliche Kraftquelle. Wir sehen, dass es nicht nur darum geht, wie ich etwas zu essen kriege, sondern auch um die Frage, welchen Sinn das Ganze macht. Darauf kann eine Dienstleistung keine Antwort geben, denn das ist eine spirituelle Frage. Ich sehe es als großen Vorteil an, dass wir auf dieser Ebene mit den Menschen sprechen können. Sie kennen es, solche Fragen zu stellen. Was gibt mir Kraft, einen hoffnungsvolleren Blick in die Zukunft zu wagen? Es ist sehr schön, die Leute in dieser gemeinsamen Suche zu begleiten, weil ich das oft als Geschenk für meine eigenen existentiellen Fragen erlebe.

USAID hat vor wenigen Wochen abrupt seine Gelder eingefroren, was die Arbeit des JRS in einigen Ländern massiv beeinträchtigt. Trotzdem weiterzumachen ist nicht einfach, oder?

Diese Maßnahmen treffen vor allem die Geflüchteten, bei denen einfach keine lebensnotwendige Hilfe mehr ankommt. Allein in unseren Projekten sprechen wir von mehr als 100.000 Personen mit ihren Familien. Ignatius rät uns zur „Kontemplation in Aktion“, einer Verbindung einer sehr aktiven Präsenz in der Welt mit einem spirituellen Element, die es uns erlaubt, im Rückbezug auf Gott und Gottes Plan für diese Welt immer wieder Position zu beziehen. Ich glaube, dass wir im Moment in einer Situation sind, die sehr von Zerbrechlichkeit geprägt ist, weil überhaupt nicht mehr sicher ist, was morgen passieren wird. Die Geflüchteten sind die ersten, die diese Zerbrechlichkeit und auch die Bedrohung des Lebens in dieser neuen Welt erfahren, weil sie die leichtesten Opfer sind.

Die Herausforderung ist, sich bewusst auf diese Situation einzulassen und sich nicht einzuigeln. Nicht zu sagen, das geht mich alles nichts an, ich muss mein eigenes Fell retten. Das wäre im persönlichen Bereich genau der Mechanismus, den die Politik im gesellschaftlichen Bereich im Moment versucht zu etablieren. An die Stelle der Wahrnehmung tritt dann die selektive Wahrnehmung, und an die Stelle der gerechten Beziehungen das „Ich zuerst!“.

Wie kann man sich auf diese Zerbrechlichkeit einlassen?

In so eine Situation kann man sich nur aus einer Bewegung heraus hineinbegeben, die in Liebe ihren Ursprung hat. Wir sind dazu aufgerufen, den Menschen zu helfen und in eine Beziehung mit ihnen zu treten. Wir sind aber vor allem auch dazu aufgerufen, diese Menschen und uns mit den Augen Gottes anzuschauen. Dieser Blick ist unzerstörbar. Er ist nicht abhängig von der Politik oder einer noch so katastrophalen Weltsituation. Das ist letzten Endes der Kern der christlichen Hoffnung, der in der aktuellen Situation sehr, sehr konkret wird. Wie würde Gott mich und die Geflüchteten, die ein paar Straßen weiter leben, zusammen ansehen?

Nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas wird teilweise hitzig über die Aufnahme von Flüchtlingen debattiert. Stimmen von rechts werden lauter. Wo sehen Sie Hoffnungszeichen, dass es in Europa gute Perspektiven für Geflüchtete gibt?

In Europa haben wir die gleichen Muster, die wir im Moment in potenzierter Form in den USA wahrnehmen. Wir haben zum Beispiel eine Mischung aus Wahrheit und Lüge, wo hinterher nicht mehr erkennbar ist, was eigentlich der Boden der Tatsachen ist, eine diffuse oder berechtigte Angst um die Zukunft oder eine Überschwemmung mit Nachrichten und Emotionen. Es gibt viele andere dieser Mechanismen. Was dagegen hilft, ist immer dasselbe: Die konkreten Situationen und die konkreten Menschen in meiner Gemeinde, in meinem Betrieb, in meiner Stadt, wo wir nicht wollen, dass unsere Beziehungen auf eine Logik des Hasses gebaut sind. Zukunft gedeiht, wo wir unsere Würde gegenseitig anerkennen.

Welche Hoffnungszeichen können wir als Gesellschaft Geflüchteten geben?

Im persönlichen Bereich geschieht dies immer durch Begleitung. Die Geflüchteten nehmen natürlich den Kontext wahr, in den sie durch die Politik gestellt werden. Von einem Tag auf den anderen wird keiner das System ändern können. Ich kann aber dem Geflüchteten und der Geflüchteten sagen, ich höre deiner Geschichte zu und ich versuche, mit dir zusammen den nächsten möglichen Schritt zu gehen. Die Botschaft hierbei ist: Du bist als Person wichtig. Das ist etwas, das jeder in seinem privaten Umfeld tun kann.

Ein zweiter Schritt ist die Frage, wie wir diese Erfahrungen von persönlicher und gesellschaftlicher Integration vom privaten in den öffentlichen Raum tragen können. Wie können wir als Organisation zum Beispiel helfen, dass Menschen mit dieser positiven und sinnstiftenden Erfahrung, die sie selbst verändert hat, als Gemeinderäte oder Bürgermeister kandidieren? Oder dass sie in ihrem Unternehmen Integration vorleben und einfordern? Ich glaube, das ist eine wichtige Herausforderung für die Zukunft, weil das garantiert, dass die positiven Erfahrungen auch im öffentlichen Raum und im politischen Leben repräsentiert sind. So können wir zeigen: Wir wollen das Narrativ des Hasses und der Vernichtung nicht haben und selbst nicht in so einer Gesellschaft leben.


Papst Franziskus schrieb am 11. Februar 2025 in Sorge über die Migrationspolitik einen Brief an die US-amerikanischen Bischöfe. Zum Brief auf Englisch (PDF)

Zur Person:

Michael Schöpf SJ

Michael Schöpf SJ war zehn Jahre lang Europadirektor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Brüssel. Von 2015-19 leitete er das Zentrum für Globale Fragen (ZGF) an der Hochschule für Philosophie in München und war Vorsitzender des Beirats des kirchlichen Hilfswerks MISEREOR. Danach arbeitete für die Jesuitenmission in Nürnberg. Ab 2020 war er zunächst Deputy International Director des Jesuit Refugee Service (JRS), seit 2023 ist er International Director des JRS in Rom.

Bild 1: SJ-Bild (alle)

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