• Videobotschaft. Papst Franziskus lädt ein zur Laudato Si'-Woche vom 16.-24. Mai.

Ich brauche den Laudato si'-Spirit

Was Papst Franziskus vor fünf Jahren in seinem Rundschreiben Laudato si' zur Sprache brachte, ist aktueller denn je. Deshalb freue ich mich über alle Versuche, seinen dringenden Aufruf in Erinnerung zu rufen und ihn noch mehr Menschen zugänglich zu machen. Franziskus selbst hatte ja das Schreiben mit den Worten eingeleitet: «Angesichts der weltweiten Umweltschäden möchte ich mich jetzt an jeden Menschen wenden, der auf diesem Planeten wohnt.» (LS, 3)

Ja, es geht uns alle an! 

Er selbst hielt am 3. März dieses Jahres eine Videobotschaft, in der er an die Dringlichkeit erinnert. Darin wiederholt er seine Frage: Was für eine Welt wollen wir denen hinterlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die aufwachsen?» (LS 160) Er erneuert seinen Aufruf: «Der Schrei der Erde und der Schrei der Armen machen deutlich: So kann es nicht weitergehen!» 

Nun lädt der Papst in diesen Tagen zur Teilnahme an einer weltweiten Kampagne: Sie dauert vom 16. bis 24. Mai 2020 und wird vom Global Catholic Climate Movement koordiniert – ein Netzwerk von über 400 katholischen Organisationen weltweit, das 2015 zur Umsetzung von Laudato si' gegründet wurde. Wer teilnehmen und mitverfolgen will, hier die Website des Netzwerkes. 

Ich selbst lebe seit 1983 mit dem Bewusstsein der ökologischen Dringlichkeit, seit ich zum ersten Mal vom Absterben der Wälder hörte. In all den Jahren wurde mir zunehmend bewusst: Wir stecken als Menschheit in einer Krise. Wenn die westliche Zivilisation so weitermacht, haben kommende Generationen keine natürliche Lebensgrundlage – und auch keine Lebensfreude mehr.

Fragen wie diese bedrängten mich:

  • Wie kann eine ganze Generation auf so eklatante Weise das Gleichgewicht verlieren? 
  • Wie kann die grosse Mehrheit einer Gesellschaft einem trügerischen Komfort verfallen und dabei die lebendige Beziehung zu den anderen Lebewesen so verachten? 

Und Fragen wie diese belebten mich:

  • Was ist angesichts dieser drohenden Katastrophe in diesem Moment der Geschichte das Gebot der Stunde? 
  • Was ist an diesem Ort auf der Welt meine Lebensaufgabe? 

Für mich waren das keineswegs abstrakte Fragen. Ich wollte gute Entscheidungen treffen und machte Schritte, die mich, meinen Lebensstil, meinen Beruf, meine Zugehörigkeit bis heute prägen. Ich wollte nicht einfach nur reden, ohne Taten folgen zu lassen.
So entschloss ich mich noch als Lehrling, nicht Autofahren zu lernen und auf den Fahrausweis zu verzichten. Ich hörte auf, Tiere zu essen, begann, mich ausschliesslich mit kaltem Wasser zu waschen und barfuss zu gehen. Ich wollte die Menschen aufrütteln – und will es bis heute. Oft strapazierte ich meine Mitmenschen und benutzte immer wieder diese Wendung, um der Resignation entgegenzutreten: «Hunderttausende sagen: Ich allein kann ja doch nichts machen!» Dann forderte ich mein Gegenüber auf, den Lebensstil zu ändern. 

Ich lernte dazu, konfrontierte weniger, brauchte weniger Worte. An meinen belebenden Gewohnheiten habe ich festgehalten – ich könnte auch anders – und schaffe es immer besser, einzelne Menschen in meinem Umfeld zum Nachdenken und Umdenken zu bringen. Die Radikalität, welche die Dringlichkeit der Stunde verlangt, ist mir bisweilen abhanden gekommen. Eine Alterserscheinung? 

Umso mehr freue ich mich über die Protestaktionen von Greta Thunberg und den Vielen, die mit ihren Klimastreiks nicht mehr hinnehmen wollen, dass ökologisch dringliche Massnahmen immer wieder relativiert werden:
Bereits 1979, an der ersten UNO-Weltklimakonferenz in Genf, wird offiziell festgehalten: Der steigende Gebrauch fossiler Energie und die Übernutzung und  Abholzung der Wälder wird weltweit «zu einem massiven Anstieg der atmosphärischen Kohlendioxidkonzentration führen». Weltklimakonferenz nach Weltklimakonferenz folgt, 1988 in Toronto, 1990 in Genf, 1992 in Rio de Janeiro. Rio brachte die globale Klimakonvention und die Agenda 21 – von 172 Staaten beschlossene Leitlinien zur nachhaltigen Entwicklung für das 21. Jahrhundert. 

Seit 1995 gibt es UNO-Klimakonferenzen im Jahrestakt. Die Wegmarken: 1997 Kyoto-Protokoll mit rechtlich verbindlichen Zielen für Emissionsbeschränkungen der Industrienationen. 2009 Kopenhagen mit dem unverbindlichen Ziel, die Erderwärmung auf 2°C zu begrenzen, Referenzpunkt die vorindustrielle Durchschnittstemperatur. 2015 Paris, 197 Nationen verabschieden das Nachfolge-Kyoto-Protokoll mit dem Ziel, die vom Menschen verursachte globale Erderwärmung auf unter 2°C gegenüber der vorindustriellen Durchschnittstemperatur zu bringen. Bis 2017 treten sämtliche Staaten dem Nachfolge-Kyoto-Protokoll bei – und einer tritt wieder aus: Donald Trump, Vertreter der mächtigsten Nation der Welt.   

Es geht nicht nur um die Klimaveränderung, sondern immer auch um die Verschmutzung von Böden, Luft und Gewässer. Um den Verlust der Artenvielfalt, die Abholzung der Regenwälder, das Ozonloch, die wachsenden Berge radioaktiver Abfälle, die Ausbreitung der Wüsten... Viele dürften sich an den Bericht des Club of Rome erinnern: 1972, «Grenzen des Wachstums». 1986 fasste Carl Friedrich von Weizsäcker das grosse Unbehagen in eindringliche Worte und thematisierte den Einsatz von unzähligen christlichen Gemeinschaften und Organisationen aller Konfessionen: Sein Buch «Die Zeit drängt!» ist ein prominenter Beitrag für den konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Laudato si' ist ökumenisch, interreligiös, wissenschaftlich wie auch zur leider etwas eingeschlafenen Friedensbewegung anschlussfähig. Was mir besonders gefällt: 

Laudato si'  ist eine Anleitung, um die Zusammenhänge zwischen unserem Handeln und den ökologischen Folgen besser begreifen zu lernen. Und vielmehr noch eine Inspiration zur Frage, wie wir mit der Erfahrung unserer (scheinbaren) Ohnmacht umgehen, ohne zu verzweifeln, ohne zu resignieren. 

Gerne ermutige ich zu einer integralen Lektüre. Im Folgenden ein paar eindrückliche Zitate. 

Anknüpfend ans Geschilderte: «Die weltweite ökologische Bewegung hat bereits einen langen und ereignisreichen Weg zurückgelegt und zahlreiche Bürgerverbände hervorgebracht, die der Sensibilisierung dienen.» –  «Leider pflegen viele Anstrengungen, konkrete Lösungen für die Umweltkrise zu suchen, vergeblich zu sein, nicht allein wegen der Ablehnung der Machthaber, sondern auch wegen der Interessenlosigkeit der anderen.» –  «Die Haltungen, welche – selbst unter den Gläubigen – die Lösungswege blockieren, reichen von der Leugnung des Problems bis zur Gleichgültigkeit, zur bequemen Resignation oder zum blinden Vertrauen auf die technischen Lösungen.» – «Wir brauchen eine neue universale Solidarität.» (LS 14)

Laudato si' beklagt die relativierte Dringlichkeit, bei der man behauptet, «der Planet könne unter den gegenwärtigen Bedingungen noch lange Zeit fortbestehen. Diese ausweichende Haltung dient uns, unseren Lebensstil und unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten beizubehalten. Es ist die Weise, wie der Mensch sich die Dinge zurechtlegt, um all die selbstzerstörerischen Laster zu pflegen: Er versucht, sie nicht zu sehen, kämpft, um sie nicht anzuerkennen, schiebt die wichtigen Entscheidungen auf und handelt, als ob nichts passieren werde.‟ (LS 58)

Laudato si' scheut sich nicht, die strukturelle Ungerechtigkeit anzuklagen: «Viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen, und sie versuchen nur, einige negative Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. Viele Symptome zeigen aber an, dass diese Wirkungen jedes Mal schlimmer sein können, wenn wir mit den gegenwärtigen Produktionsmodellen und Konsumgewohnheiten fortfahren.» (LS 26)

Laudato si' arbeitet nicht mit Angst- und Panikmache, legt vielmehr den Fokus auf unspektakuläre Aktionen und Gesten der Wertschätzung: «Man soll nicht meinen, dass diese Bemühungen die Welt nicht verändern. Diese Handlungen verbreiten Gutes in der Gesellschaft, das über das Feststellbare hinaus immer Früchte trägt, denn sie verursachen im Schoss dieser Erde etwas Gutes, das stets dazu neigt, sich auszubreiten, manchmal unsichtbar. Ausserdem gibt uns ein solches Verhalten das Gefühl der eigenen Würde zurück, führt uns zu einer grösseren Lebenstiefe.» (LS 212)

Laudato si' steht für eine glückliche Genügsamkeit, die befreiend wirkt: «Sie bedeutet nicht weniger Leben, sie bedeutet nicht geringere Intensität, sondern ganz das Gegenteil. In Wirklichkeit kosten diejenigen jeden einzelnen Moment mehr aus und erleben ihn besser, die aufhören [mit] der ständigen Suche nach dem, was sie nicht haben.» (LS 223)

Der Spirit von Laudato si' hat mich schon oft ermutigt, lähmende, enttäuschende Ohnmachtserfahrungen in ein grösseres Licht zu stellen und eine neue, den Menschen zugewandte Radikalität zu finden. 

P. Christoph Albrecht SJ (Zürich)

Autor:

Christoph Albrecht SJ

Auf dem Weg mit Flüchtlingen und Fahrenden in der Schweiz.

Christoph Albrecht, geboren 1966 in Basel, lernte in seiner Jugend Maschinenmechaniker und absolvierte danach das Studium zum Elektroingenieur HTL. Seit 1989 im Jesuitenorden, lebte zwei Jahre als Lehrer in Bolivien, studierte in München Philosophie und in Paris und Innsbruck Theologie, wo er 2004 über Luis Espinal SJ promovierte. 2004-2009 Mitarbeit in der Leitung des Bildungshauses Notre-Dame de la Route, Fribourg.  2009-2016 Universitäts- und Flüchtlingsseelsorger in Basel. Seit Sommer 2016 in Zürich verantwortlich für die katholische Seelsorge der Fahrenden in der Schweiz und für den Jesuiten-Flüchtlingsdienst der Schweiz.

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