Zwei Stunden um Brot anstellen, eine Viertelstunde Strom pro Tag, wenig Wasser, keine Heizung: Die Versorgungslage in Syrien sei schlechter als während des Krieges und Homs der „schrecklichste Ort zum Leben“, erzählt der in Syrien tätige österreichische Jesuit Gerald Baumgartner im Gespräch mit religion.ORF.at.
Baumgartner war die vergangenen Tage auf Heimaturlaub in Österreich und wunderte sich über den krassen Gegensatz zwischen den Welten: In der Wiener Innenstadt sitzen Menschen bei Minusgraden unter Heizstrahlern im Freien, er schläft im Jesuitenkloster in Homs mit drei Decken und Haube. In Syrien ist wie in Österreich jetzt Winter mit Minusgraden.
Durch die US-Wirtschaftssanktionen fehlt es an vielem, sie treffen die Bevölkerung. Auch die EU verhängte Sanktionen. Wasser wird zum Trinken, Kochen und Zähneputzen verwendet, Duschen ist Luxus. Viele seien aufgrund der Beschränkung von Öl und Benzin auf Gas umgestiegen, der Preis sei aber um das 20-Fache gestiegen. Auch die Landwirtschaft sei aufgrund von Wassermangel nicht ausreichend produktiv, sagte Baumgartner im Gespräch mit religion.ORF.at.
Die Sanktionen bestehen seit 2011. Sie richten sich gegen Personen (Regimevertreter, Geschäftsleute und Firmen, die zu den Herrschaftszirkeln von Baschar al-Assad zählen) und Sektoren (die Öl- und Gasindustrie, das Bankensystem, den Kraftwerksbau, Informationstechnologie zur Internet- und Telefonüberwachung, Militär- und Luxusgüter). Erreicht werden soll damit die Schwächung des Regimes, zermürbt wird vor allem die Zivilbevölkerung. Ein Wiederaufbau des Landes finde derzeit nicht statt, so der Jesuit.
„Stimmung kollektiver Hoffnungslosigkeit“
Als „Stimmung kollektiver Hoffnungslosigkeit und Depression“, bezeichnet der 27-jährige Oberösterreicher die Situation in Syrien. „Es ist nicht mehr Krieg, aber auch kein Frieden.“ Die Jugend, so Baumgartner, sehe keine Zukunftsperspektiven. Hatte das Land 2010 noch mehr als 21 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, sind seit dem Krieg Schätzungen zufolge fast 13 Millionen Menschen auf der Flucht. Etwa die Hälfte innerhalb Syriens, die andere im Ausland. Einige von ihnen sind wieder zurückgekehrt, konkrete Zahlen gibt es nicht.
Das Jesuitenkloster in Homs, wo Baumgartner und 140 Helferinnen und Helfer mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, verfügt über Solaranlagen und hat daher Strom und auch Wasser, weil eine Pumpe betrieben werden kann. Die Menschen aus der Umgebung würden zu ihnen Trinkwasser holen kommen.
Chillen im „Safe Space“
Die Unterstützung, die die insgesamt fünf Jesuiten aus verschiedenen Ländern in Homs geben, ist zum einen humanitäre Hilfe und Sozialarbeit, die allen Menschen ungeachtet ihrer Religion zukommt. Zum anderen besteht die Arbeit in Jugendpastoral, die christlichen Kindern und Jugendlichen geistlichen Beistand und einen „Safe Space“ zur Verfügung stellt.
Hier gibt es Licht, Wasser und Strom zum Handy-Aufladen, hier können die jungen Menschen, die den Großteil ihres Lebens im Krieg verbrachten, einfach sie selbst sein und ausruhen. Gearbeitet wird in großen Gruppen, Kleingruppen und einzeln. Die geistliche Arbeit sei auch Sozialarbeit und Therapie, sagte Baumgartner. Bis zu 1.500 Jugendliche kommen wöchentlich in das Kloster – ein „Hafen des Friedens“, wie Baumgartner es ausdrückt. Gesprochen wird mit den Jugendlichen über den Glauben, aber auch über das, was sie bewegt.
Und den jungen Leuten werde gesagt: „Ihr habt Rechte.“ Er freue sich immer, wenn jemand in der Gruppe sich selbst positioniere und einen eigenen Standpunkt vertrete. Zudem müssten keine Rollenbilder aufrechterhalten werden, Mädchen und Burschen werden gemeinsam betreut, und abwaschen müssen auch die Buben – beides ist in einer patriarchalen Gesellschaft wie Syrien keine Selbstverständlichkeit.
Kein Krieg, aber auch kein Frieden
Seit Mai 2014 werde in Homs, der drittgrößten Stadt in Syrien, nicht mehr gekämpft, dennoch lägen ganze Viertel noch in Trümmern, manche teilweise, wieder andere wurden im insgesamt zehn Jahre dauernden Bürgerkrieg samt ausländischen Interventionen kaum beschädigt. „Essen ist da, aber kaum Treibstoff und Strom.“
Bis vor zwei Jahren habe es noch verlässlich wenigstens sechs Stunden pro Tag Strom gegeben, so Baumgartner. Die Sicherheitslage sei in Homs im Großen und Ganzen stabil, bis auf Raketen aus Israel, die gezielt die Hisbollah angreifen. In Teilen Syriens wird immer wieder gekämpft, aktuell in Hassakeh, wo der IS ein Gefängnis angegriffen hat. Die weltweit tätige Jesuitenmission finanziert ihre sozialen und seelsorglichen Projekte durch Spenden.
Kein Kopf für Covid-19
Angesprochen auf die Coronavirus-Krise in Syrien, sagt Baumgartner, dass sich die Menschen darum nicht auch noch Sorgen machen könnten. Masken trage kaum jemand. Und wenn man stundenlang in einer Schlange um Brot oder Benzin anstehe, habe man andere Sorgen. Tests würden 100 Dollar kosten – so viel, wie eine Familie im Monat zum Überleben brauche. Es sei, wie es sei: Die Menschen erkranken, manche sterben. Die offiziellen Daten weisen jedenfalls zu den CoV-Infektions- und -Sterbefällen eher niedrige Zahlen aus.
Jesuiten seit 2011 in Syrien
Baumgartner ist Jesuit (Gesellschaft Jesu – Societas Jesu – SJ). Als solcher ist er seit eineinhalb Jahren in Homs. Insgesamt dauert seine Entsendung drei Jahre. Danach plant er, sein Theologiestudium abzuschließen und dann seine Priesterweihe. Jesuiten durchlaufen eine sehr lange Ausbildung, unter anderem mit Philosophie- und Theologiestudium und Sozialarbeit (wie Baumgartner sie jetzt in Syrien leistet und zuvor im Libanon).
Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien 2011 waren fast durchgehend Jesuiten in Homs. 2013/14, während der Belagerung der Stadt, flohen die Christen bis auf einen Jesuitenpater aus Homs. Der Niederländer Frans van der Lugt wurde 2014 von Islamisten ermordet. Zwei Monate später seien die anderen Jesuiten zurückgekehrt, so Baumgartner.
Die Gesellschaft Jesu wurde im 16. Jahrhundert von Ignatius von Loyola gegründet. Jesuiten gehen laut Baumgartner dorthin, wo die Not am größten ist. „Homs ist der schrecklichste Ort zum Leben, aber der beste, um als Jesuit zu leben“, fasst Baumgartner seine Entsendung zusammen. Im Vordergrund steht für ihn der Dienst an anderen.
Nina Goldmann, religion.ORF.at