Geflüchtete und Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis sind während der Corona-Pandemie aus dem Blick geraten. Die deutschen Einreisebeschränkungen und Quarantäneverordnungen haben dieser schon zuvor marginalisierten und vulnerablen Gruppe besonders zugesetzt. Claus Pfuff SJ ist Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes JRS und vertritt das Berliner Erzbistum in der Härtefallkommission. In seinem Editorial in der aktuellen Ausgabe von "Stimmen der Zeit" erklärt er, wie einigen geholfen werden kann.
Seit drei Jahren bin ich Vertreter der Katholischen Kirche in der Härtefallkommission des Landes Berlin. Immer wieder kommt die Frage auf, was denn ein Härtefall ist und wozu eine solche Kommission gut sei. Im vergangenen Jahr wurden von unserer Stelle nach mehr als 500 Beratungsgesprächen 42 Anträge formuliert und gestellt. Seit 2005 gibt es mit dem §23a des Aufenthaltsgesetzes die rechtliche Grundlage für die Arbeit der Härtefallkommissionen in den Bundesländern. In Berlin wurde eine solche bereits vorher eingerichtet. Sie soll Menschen helfen, einen Aufenthalt in Deutschland zu erlangen, die nicht auf andere Wege einen Aufenthaltstitel bekommen können, bei denen eine Abschiebung aber eine große oder unerträgliche „Härte“ wäre. Bereits hier zeigt sich die Schwierigkeit zu fassen, was eine solche Härte darstellt und welche Voraussetzungen ein Antrag bei der jeweiligen Kommission erfüllen muss.
Wer wendet sich an die Kommission? Meistens sind es Menschen, die schon lange in Deutschland leben und aus irgendeinem Grund nun ihren Aufenthaltstitel verloren haben. Wichtig ist, dass keine anderen rechtlichen Möglichkeiten bestehen und der Antragssteller vollziehbar ausreisepflichtig ist. Es können ehemalige Asylsuchende sein oder auch Studierende, die die Regelstudienzeit überschritten haben. Sie müssen ihren Wohnsitz in dem Bundesland haben, an dessen Härtefallkommission sie sich wenden.
Was wäre eine solche unerträgliche Härte, und gibt es noch andere Faktoren, die für eine Antragstellung eine Rolle spielen? In §23a AufenthG heißt es, dass als Voraussetzung „dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen“ müssen. Oftmals werden „Integrationsleistungen“ abgefragt, wie Bemühungen um Sprachkenntnisse oder um einen qualifizierten Arbeitsplatz. Versucht eine Person aktiv am gesellschaftlichen Leben in Deutschland zu partizipieren? Auch die Verweildauer im Bundesgebiet kann dabei eine entscheidende Rolle spielen. Wenn sich jemand durch die lange Dauer eines Asylverfahrens eine neue Existenz aufgebaut hat, Kinder in die Schule gehen und einen Freundeskreis haben, kann dies einen entscheidenden Einfluss auf die Fallbeurteilung haben. Ehrenamtliches Engagement oder die Mitgliedschaft in einem Verein haben einen positiven Einfluss. Diese können in einem Rechtsverfahren oft nicht ausreichend berücksichtigt werden, und die vorher erbrachten Bemühungen um Integration wären umsonst oder neue familiäre Beziehungen werden auseinandergerissen. In Berlin ist ein Antrag unzulässig, wenn ein gewisses Strafmaß überschritten ist oder wenn bereits konkrete Maßnahmen zur Abschiebung eingeleitet wurden. Die Zahlen der gestellten Anträge in den Bundesländern zeigen, dass es große Unterschiede gibt. Die Situation in den Herkunftsländern spielt eine geringe Rolle. Diese Gründe wurden bereits im Asylverfahren berücksichtigt.
Wo und wie ein Härtefallantrag gestellt werden kann, ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. In Berlin gibt es dafür sieben Stellen, die nach eingehender Beratung die Unterlagen sichten und zusammenstellen. Anschließend wird ein Antrag, der nur von einem Mitglied der Kommission erstellt werden kann, formuliert und bei der Geschäftsstelle eingereicht. Dort wird die Akte bei der Ausländerbehörde angefordert und ein Aktenauszug für die Beratung der Kommission erstellt. Da die Errichtung der Kommission Angelegenheit der jeweiligen Landesregierung ist, können auch hier unterschiedliche Bedingungen herrschen, die die Antragstellung und das Votum beeinflussen. In Berlin sind neben staatlichen und kirchlichen Stellen auch Vertreter von Wohlfahrtsverbänden oder dem Flüchtlingsrat als Mitglieder berufen worden. Die Vertreter können selbst nicht die letztgültige Entscheidung treffen, sondern richten, wenn sie im konkreten Einzelfall das Vorliegen einer Härte bejahen, ein „Ersuchen“ an den Innensenator. Ihr Votum dient als Grundlage für die Entscheidung des Senators. Dieser bestimmt, ob er die Ausländerbehörde anweist, einen Aufenthalt nach §23a AufenthG zu erteilen. Die Entscheidung ist faktisch ein „Gnadenakt“, somit besteht kein Rechtsanspruch auf die Erteilung des Aufenthaltstitels, weshalb die Entscheidung nicht gerichtlich überprüft werden kann.
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob es solche Kommissionen braucht. Angriffe auf Härtefallkommissionen, wie zum Beispiel in Thüringen durch die AfD, wurden klar abgewiesen. Es gibt Situationen, die durch die derzeitige Gesetzeslage oder in „normalen“ Verfahren nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die Auslegung der Gesetze lässt einen Spielraum zu, der unterschiedlich angewandt wird und sich in der anschließenden Abschiebepraxis abzeichnet. Es gibt kein Gesetz, das alle relevanten Lebensumstände erfassen könnte. Somit kann eine Abschiebung zwar legal, aber trotzdem sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft unerträglich sein. Von daher ist es notwendig, eine solche Einrichtung als Gegengewicht zu haben, die diese Aspekte im Blick hat und sich für die Menschen einsetzt, auch wenn es manchen konservativen Politikern nicht gefällt.