P. Fabian Retschke SJ ist seit Kurzem Teil des JRS-Teams in Deutschland: Als Advocacy Officer wird er sich künftig dafür einsetzen, die Rechte und Anliegen von Geflüchteten in Politik und Gesellschaft sichtbar zu machen. Seine Arbeit verbindet die direkte Erfahrung aus der Begleitung von Geflüchteten mit dem Einsatz für strukturelle Veränderungen. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was ihn motiviert, welche Schwerpunkte er setzen möchte und wie er die Stimme derer stärken will, die oft nicht gehört werden.
Pater Retschke, was bedeutet es für Sie, nun als Advocacy Officer beim JRS Deutschland zu arbeiten?
Ich darf in einem engagierten Team arbeiten, das sich seit Jahren zusammen mit vielen Ehrenamtlichen leidenschaftlich für die Anliegen geflüchteter Menschen einsetzt. Diese Arbeit verlangt, im Kontakt mit ihnen zu stehen, um so zu verstehen, was für sie wichtig ist und was sie brauchen. Es geht gleichzeitig um eine regelmäßige Analyse des politischen Geschehens und der gesellschaftlichen Debatten. Dafür muss ich mich auch in die Hintergründe einarbeiten. Als JRS vertreten wir Standpunkte aufgrund unserer christlichen Vorstellung von der Menschenwürde. Das ist leider nicht immer opportun, aber eine unverzichtbare Stimme. Ich kann also mit Überzeugung dafür eintreten, auch wenn manche genervt abwinken.
Welche Themen oder Anliegen stehen für Sie dabei im Vordergrund?
Mir ist es wichtig, dass unsere Perspektive realistisch, faktenbasiert und empathisch bleibt. Wenn andere mit kühlem Kalkül kommunizieren, sollte unser Sprechen aufrichtig und transparent bleiben. Es gibt Themen und Anliegen, die grundsätzlich relevant sind, etwa die Wahrung fundamentaler Rechte und die gemeinsame Bemühung um Integration. Andererseits tauchen immer wieder aktuell relevante Fragen auf, gerade etwa jene nach der Familienzusammenführung oder die Umsetzung der Verordnungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Das betrifft die Menschen, denen wir dienen, akut und langfristig.
Wie verstehen Sie den Begriff „Advocacy“ im Kontext der Arbeit des Jesuit Refugee Service?
Zunächst ist es eine der zentralen Tätigkeiten. Wir verstehen unser Tun nicht beschränkt auf Dienstleistung gegenüber den Menschen, die in unser Büro kommen, sondern blicken auf den größeren Zusammenhang. Es ist gut, dass in demokratischen Gesellschaften viele Menschen über kontroverse Themen wie die Migration diskutieren. Umso wertvoller ist es jedoch, in diese Diskussionen die konkreten Erfahrungen aus der alltäglichen Begegnung mit den Menschen, die gemeint und betroffen sind, einfließen zu lassen. Advocacy hat eine Art anwaltliche Funktion, vertritt dabei die Anliegen in struktureller Hinsicht: Wie sollten die Bedingungen zum allgemeinen Wohl verbessert werden? Das geschieht immer in einem Netzwerk mit anderen Akteuren, denn nicht als JRS allein, nur gemeinsam sind wir wahrnehmbar.
Inwiefern steht diese Arbeit im Zusammenhang mit der jesuitischen Tradition?
Wir verstehen das jesuitische Leben als Sendung zum Dienen, nämlich insbesondere für die an den Rand gedrängten Menschen da zu sein, weil sich auch Jesus ihnen bevorzugt gewidmet hat. Wir wollen Mensch werden an ihrer Seite und trotz aller Ohnmachtserfahrung Widerstand leisten gegen die Sünde, die von Mächtigen zur Struktur gemacht wurde. Die Gesellschaft Jesu versteht dies als Prozess der Versöhnung und Gerechtigkeit, der im Glauben wurzelt, trotz unserer eigenen Beteiligung an der Sünde von Gott angenommen und in die Nachfolge gerufen zu sein.
Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die größten Herausforderungen für Geflüchtete in Deutschland – und wie kann der JRS hier wirksam werden?
Geflüchtete werden auf diskriminierende Weise mit Kriminalität und Bedrohung in Verbindung gebracht und ihnen wird der Zugang zu regulären Beschäftigungsmöglichkeiten bürokratisch erschwert. Am wichtigsten ist meines Erachtens in beiden Fällen, die politisch Verantwortlichen daran zu erinnern, dass ihre Kommunikation respektvoll bleibt und dass ihrer Rede vom Bürokratieabbau hier sinnvolle Maßnahmen folgen könnten. Unsere Methode der Wirksamkeit ist in der Regel öffentliche Kommunikation.
Wie wollen Sie die Stimme von Geflüchteten in der politischen und gesellschaftlichen Debatte stärken?
Geflüchtete Menschen machen oft auf Probleme aufmerksam, die nicht erst von ihrer Ankunft verursacht wurden: überbordende Bürokratie, verzettelter Föderalismus, unterversorgte Kommunen, Wohnraummangel, Digitalisierungsdefizite. Wir können hier unser allgemeines Interesse entdecken, an besseren Bedingungen zu arbeiten und damit ihre Stimme ernstnehmen. Anstatt abstrakt über die Legitimität von Fluchtgründen oder Abschiebungen zu diskutieren, finde ich einen pragmatischen Ansatz nützlicher: Hier sind nun diese Menschen, welche Chancen bieten sich, wenn uns die Integration gelingt? Dafür möchte ich aber auch mit den Menschen in der Aufnahmegesellschaft ins Gespräch kommen.




