• © SJ-Bild/Christian Ender

Für den JRS in Rom

Für den JRS in Rom

Br. Michael Schöpf SJ ist zum Deputy International Director des Jesuit Refugee Service (JRS) ernannt worden und wird ab 1. Januar 2021 seine neue Aufgabe in Rom beginnen. Er war zehn Jahre lang beim Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Brüssel, davon sechs Jahre als Leiter, ist Vorsitzender des Beirats von MISEREOR, dem Werk für Entwicklungszusammenarbeit der Deutschen Bischofskonferenz, und Mitglied im Beirat des JRS Deutschland. Heute arbeitet er bei Jesuiten Weltweit, dem Werk der deutschen Jesuiten für internationale Solidarität.

JRS Deutschland: In der letzten Woche wurden Sie zum Stellvertretenden Direktor des Internationalen Jesuiten-Flüchtlingsdienstes ernannt. Sie werden Ihre neue Aufgabe im Januar 2021 in Rom beginnen. Wie geht es Ihnen mit der neuen Herausforderung?

Br. Michael Schöpf SJ: Es war eine große Überraschung! Es kommt etwas Bekanntes, Vertrautes zurück, jetzt auf globaler Ebene. Und gleichzeitig spüre ich die Veränderungen der letzten Jahre, die auch mich zu neuen Herausforderungen führen: eine verstärkte Polarisierung in der öffentlichen Meinung oder neue Situationen wie den Klimawandel, der Menschen zur Flucht zwingt.

JRS Deutschland: Was bedeutet diese Ernennung in einem internationalen Rahmen für Sie?

Br. Michael Schöpf SJ: Vor dem Noviziat [die zweijährige Prüfungszeit bei Eintritt in den Orden] habe ich Philosophie an der Hochschule in München studiert, mit 26 bin ich mit dem JRS nach Afrika gegangen, nach Kenia und später nach Uganda und Ruanda. Ich stellte fest, dass ich mich in einem kulturellen Kontext, der nicht meiner ist, wohl fühle und so entschloss ich mich, meinen Weg weiter in sozialen- und menschenrechtsorientierten Arbeitsgebieten zu suchen. Bei uns Jesuiten heißt dieser Bereich Sozialapostolat. Dieser Weg führte mich von 2005 bis 2014 zum JRS Europa, davon 6 Jahre als Direktor mit Sitz in Brüssel. Zurzeit bin ich bei der Jesuitenmission und unterrichte auch in einem Masterstudiengang in Würzburg im Fach Migrationsstudien. Auch mein Engagement mit Misereor hilft mir, unsere Welt als eine Welt zu sehen, in der wir alle aufeinander angewiesen sind.

Dass die Wahl für diese Leitungsposition auf mich gefallen ist, fordert mich dazu heraus, vieles von dem, was ich gelernt und erlebt habe, jetzt in einem globalen Kontext einzubringen.

JRS Deutschland: Was haben Sie aus der Zeit beim JRS in Brüssel mitgenommen?

Br. Michael Schöpf SJ: In dieser Zeit habe ich das Handwerkszeug gelernt und weiß, was es heißt, ein Büro auszubauen, Strukturen für eine effiziente Zusammenarbeit zwischen Ländern aufzubauen und sich in der anwaltschaftlichen Arbeit für Geflüchtete zu engagieren.

Es war mir sehr wichtig zu erfahren, was in den einzelnen Ländern in Europa genau passiert, wie die Menschen leben, die zu uns kamen, was gebraucht wird und wo die Probleme lagen. Wir haben Informationen und Erfahrungen in der Begleitung von Menschen gesammelt, um dann konkrete Programme zur Unterstützung zu entwickeln. 

Zum Beispiel haben wir eine Studie zur Abschiebehaft in Zusammenarbeit mit der Universität in Wien durchgeführt. Wir wollten zeigen: So sieht Abschiebehaft aus Sicht der betroffenen Menschen aus. Und das muss der Ausgangspunkt für Politik sein, wenn sie glaubwürdig sein soll—für uns und für die Geflüchteten. Wir werden selbst nur ernst genommen, wenn wir andere Menschen in ihrer Würde ernst nehmen. Natürlich haben wir dann auf dieser Basis konkrete Vorschläge für die Gesetzgebung gemacht.

JRS Deutschland: Gab es Programme, die Sie mit besonderem Engagement eingeführt haben?

Br. Michael Schöpf SJ: Wir haben teilweise mit ganz kleinen Initiativen angefangen. Eines unser ersten Projekte war ein Schulungskonzept für alle, die in Abschiebehaftanstalten arbeiteten: für Polizisten, Verwaltungsbeamte, Ehrenamtliche und kirchliche Mitarbeiter zusammen. Wichtig war uns dabei, alle Beteiligten ins Gespräch miteinander zu bringen und zu ermutigen, die Perspektive zu wechseln. Vor allem aber, auch die Perspektive der Inhaftierten einzunehmen.

Ein anderes Problem, das wir auf europäischer Ebene angegangen sind, war das der sogenannten Destitution. Die rechtliche Situation gewährte den Flüchtlingen weder eine Möglichkeit zur Arbeit noch irgendwelche Sozialleistungen. Eine fehlende Arbeitserlaubnis hatte verschiedene Folgeprobleme für die Betroffenen, zum Beispiel keine Krankenversicherung. Sie konnten gar keine Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Wir haben diese Probleme wahrgenommen und in verschiedenen Ländern die Gesellschaft mobilisiert. Durch Seminare haben wir das Bewusstsein für die Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen geschärft und einen politischen Gestaltungswillen eingefordert.

JRS Deutschland: Gab es in Ihrer Zeit als Direktor des JRS Europa auch länderübergreifende Programme außerhalb der EU?

Br. Michael Schöpf SJ: Der JRS war damals auf beiden Seiten der europäischen Außengrenzen aktiv. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit bestand darin, Programme zu entwickeln, um den Menschen zu helfen, die an den Außengrenzen unmittelbar unter den Auswirkungen der europäischen Abschottung leiden. Und für uns Europäer ging es darum, diese Realität wahrzunehmen, wie sie ist, und nicht nur so, wie ich sie mir, zu meinem Selbstschutz, gern vorstelle. Als europäische Region des JRS an den Punkten zusammenzuarbeiten, wo wir die Stimmen der Geflüchteten verstärken können, ist uns auch dadurch gelungen, dass wir Menschen auf beiden Seiten der Grenzen begleitet haben und mit beiden Realitäten konfrontiert waren.

JRS Deutschland: Welche neuen Aspekte gegenüber Ihrer Arbeit in Europa wollen Sie auf globaler Ebene einbringen?

Br. Michael Schöpf SJ: Ich habe vor 6 Jahren in Brüssel aufgehört. Jetzt bei meinem Wiedereinstieg in die Arbeit des JRS ist unsere Gesellschaft noch viel stärker polarisiert. Die Anliegen von Flüchtlingen werden vielleicht unmittelbar deutlicher als früher. Die Notwendigkeit der Versöhnung mit ihnen und mit uns selbst aber auch! Dazu brauchen wir einen neuen Blick auf die Würde des Menschen, ihre und unsere. Es ist Zeit, noch mehr mit den Geflüchteten ins Gespräch zu kommen.

Bei einem Besuch einer Abschiebehaft vor einigen Jahren schlug mir eine Welle der Aggressivität entgegen. Die dort Festgehaltenen und Zusammengepferchten machten auch mich für ihre verzweifelte Situation verantwortlich, und ich fand mich als ein Teil des Systems wieder, das sie dort gefangen hielt. Beim Verlassen der Abschiebehaft traf ich auf einen jungen Mann, der sich anders verhielt, allein und zurückgezogen in einer ruhigen Ecke saß. Als ich ihn ansprach, sagte er ruhig, dass er sich auf einen Englischunterricht vorbereite, den er für andere gleich geben werde. „So bewahre ich meine Würde in dieser Situation“, erklärte er mir sein Engagement. „Und so helfe ich den anderen wenigstens ein bisschen, da sie dann vielleicht sogar die Briefe der Regierung lesen können, die über ihr Schicksal entscheidet.“ Ich konnte erkennen, dass er sich mit seiner Situation versöhnt hatte und er in der Lage war etwas zu tun, was für andere und damit auch für ihn Früchte tragen sollte. Es war ihm gelungen, neues Leben zu schaffen. Dazu möchte ich mit meiner Arbeit auch beitragen. Dieses Erlebnis hat mir die Kraft der Versöhnung verdeutlicht.

JRS Deutschland: Was ist die Voraussetzung für Versöhnung?

Br. Michael Schöpf SJ: Es braucht die Bereitschaft zu echter Begegnung. Ich muss bereit sein, mich durch die Begegnung verändern zu lassen. Bereit sein, die Wirklichkeit aus der Sicht der anderen Person zu sehen. Abschiebehaft ist keine leider unvermeidliche Maßnahme, um eine Ausreise vorzubereiten. Sie wird erlebt als ein fundamentaler Eingriff in die Freiheit eines Menschen, der dessen Leben auf unbestimmte Zeit zum Stillstand bringt. Wie würde ich mich fühlen, wenn ich vor Gewalt geflohen wäre und dann im Gefängnis säße, nicht wissend, wie es weitergeht? Wie sehe ich einem Menschen in die Augen, dem genau das in meinem Land passiert ist? Viele unserer politischen Maßnahmen machen solche Menschen unsichtbar: in Haftanstalten, jenseits unserer Außengrenzen oder durch erzwungene Armut. Versöhnung kann beginnen, wo ich bereit bin, mich auf diese Realität einzulassen und mich durch Begegnung verändern zu lassen. Ich werde mir dadurch neu geschenkt.

JRS Deutschland: Was ist der Platz des JRS auf der internationalen Ebene?

Br. Michael Schöpf SJ: Der JRS ist eine Organisation, die auf die Not in vielfältiger Weise antworten kann. Durch konkrete Projekte, durch Öffentlichkeitsarbeit und auch durch die Erfahrung der Versöhnung. Wir brauchen eine starke Struktur und viele Partner, die es uns ermöglichen, Menschen in Not professionell zu helfen. Wir brauchen aber vor allem Menschen, die bereit sind, Geflüchtete tagtäglich zu begleiten und sich selbst dadurch verändern zu lassen. Diese Erfahrung steht jedem offen, mit jedem religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund. Es ist eine Einladung, in Beziehung zu treten. Der JRS lebt von diesen Beziehungen und kann nur so eine glaubwürdige Stimme im Konzert der vielen Organisationen und Vereinigungen sein, die das Internationale Flüchtlingsregime heute ausmachen. Die Menschen merken sofort, ob ein Hilfsprogramm oder eine politische Forderung aus dieser Erfahrung kommt.

JRS Deutschland: Wie werden Sie Ihre Arbeit in Rom gestalten?

Br. Michael Schöpf SJ: Ich wünsche mir, zusammen mit den Teams in Rom und vor Ort weiter zu erarbeiten, was der JRS ist und wohin uns unsere Identität zusammen mit den Flüchtlingen führt. Dazu ist es wichtig, ständig zu hinterfragen wie wir im Leben dieser Menschen präsent sein können. Die aktuellen Entwicklungen stellen uns vor neue Herausforderungen: Wie können wir mit den Folgen der Corona-Pandemie so umgehen, dass alle eine Zukunftsperspektive finden, die Geflüchteten eingeschlossen? Hier geht es um den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Mitteln zur Einkommenssicherung. Ganz konkret: Wie können wir vielleicht die jetzt erforderliche Nothilfe so mit Mikrokreditprogrammen verknüpfen, dass daraus wieder ein selbständiges Leben entsteht? Dazu brauchen wir Partner vor Ort, die Erfahrungen mit dem Thema „Livelihoods“ haben, und in jedem Land werden die Lösungen anders aussehen. Die Initiativen vor Ort zu unterstützen und die gemeinsame Reflexion unserer Erfahrungen, auch jenseits technischer Aspekte, sehe ich als eine Hauptaufgabe des internationalen Büros vom JRS.

In meiner früheren Arbeit im Zentrum für Globale Fragen in München haben mich die Themen Wertebildung und Migration stark beschäftigt. Ich war regelmäßig in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge zu Besuch. Natürlich ging es dabei oft um Alltagskonflikte und Fragen des täglichen Zusammenlebens. Die Menschen hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen davon. Das führte bald zur Frage: Was ist mir persönlich wirklich wichtig? Was ist für mich essentiell und besonders wertvoll? Eine Frage, die für viele von uns, mich eingeschlossen, gar nicht leicht zu beantworten ist! Aber an den Stellen, an denen es zu Konflikten kommt, zeigt sich ja, dass es wirklich um etwas geht, denn sonst würde ich nicht so auf meiner Position beharren. Hier stellt sich die zentrale Frage: Wie wollen wir zusammenleben?

Auf der globalen Ebene haben wir derzeit mit genau derselben Frage zu kämpfen: Wie wollen wir zusammenleben, wo wir doch zu merken beginnen, wie eng unser Schicksal und unsere Zukunft weltweit miteinander verbunden sind? Im Umweltbereich, in der Sorge um lebensnotwendige Güter wird das vielleicht besonders deutlich. In der Gestaltung der Handelspolitik sind wir weit weniger bereit anzuerkennen, dass es nur eine gemeinsame Entwicklung geben kann. Und die Erfahrung von Geflüchteten, ihre Anfrage an uns nach Schutz, weist uns oft schmerzlich auf die fundamentalen Widersprüche in unserem Handeln hin. Das könnte der Ausgangspunkt nach einer gemeinsamen Suche nach Leben sein, so wie der junge Mann in der Abschiebehaft es geschafft hat. Das ist eine Einladung, sich dem Leben zu öffnen und es sich jenseits der eigenen Grenzen schenken zu lassen! Diese Einladung gilt für den persönlichen, den gesellschaftlichen und den politischen Raum.

JRS Deutschland: Wie werden Sie das Thema Klimabedingte Migration einbringen?

Br. Michael Schöpf SJ: Wir sehen ja heute schon, wie der Klimawandel verstärkt Menschen dazu zwingt, sich anzupassen oder anderswo eine Lebensgrundlage zu suchen. Diese Realität wird sicher in der Zukunft noch wichtiger werden und Migrationsbewegungen innerhalb eines Landes oder im internationalen Kontext auslösen. Interessant ist, wie sich die vielen kleinen Bewegungen und Initiativen aus dem Umweltbereich immer mehr vernetzen. Es geht um den „Tipping Point“: den Punkt, an dem die vielen Akteure ein solches Gewicht bekommen, dass sie eine globale Stimme und gemeinsam einen globalen Einfluss haben. Gerade als kirchliche Organisation können wir von der Zusammenarbeit mit diesen Gruppen und der Vernetzung noch vieles lernen und vielleicht auch noch stärker in den öffentlichen Raum gehen: Denn auch wir brauchen die vielen Bewegungen und Initiativen, die auf globaler Ebene die Situationen, in denen Geflüchtete heute leben müssen, sicherer machen. Das ist auch das Ziel der beiden „Global Compacts“, der weltweiten Vereinbarungen zum Schutz von Migranten und Geflüchteten, die bisher jedoch nichts weiter als freiwillige Absichtserklärungen sind. Hier müssen wir auf globaler Ebene noch viel weiterkommen, und das Thema der klimabedingten Migration ist eines, das dies besonders deutlich macht.

JRS Deutschland: Was ist für Sie alternativlos?

Br. Michael Schöpf SJ: Alternativlos ist die Begleitung von Geflüchteten, wo auch immer sie sich gerade befinden; und unser Einsatz, Flüchtlingen konkret zu helfen und das so zu machen, dass ihre Stimme und ihre Erfahrungen an möglichst vielen Orten Gehör finden können.

Ich meine, wir brauchen dazu heute eine klare Orientierung, die aus der Freiheit wächst: einer Freiheit, in der ich nach mehr Leben suchen kann, für andere und für mich, weil ich weiß, dass sie mir selbst geschenkt wurde. Die Begleitung von Geflüchteten kann zu einer Quelle für diese Freiheit werden und sie immer wieder erneuern. Diese Freiheit hat auch eine Richtung, weil sie ja eine Suche nach Leben ist und bleibt. Für eine Organisation wie den JRS bedeutet dies meiner Ansicht nach, dass es für die Teams und die Arbeit eine klare Verankerung und Ausrichtung gibt. Gleichzeitig geht es darum, die persönliche Veränderung in der Begegnung miteinander, in der gemeinsamen Suche nach Leben, auch als einen kontinuierlichen Prozess zu implementieren. Wir können nur zusammen in unserem Menschsein wachsen.

JRS Deutschland: Was begeistert Sie außerhalb Ihrer Arbeit?

Br. Michael Schöpf SJ: Kochen! Oft etwas Neues, aber auch nach Rezept, wenn ich viele Gäste erwarte. Das ist eine schöne Erholung, weil es sehr kreativ ist. Wie schmeckt es, wenn ich etwas anders mache? Welche Farben liegen auf dem Teller? Was kann ich aus dem machen, was gerade vorhanden ist? Es ist auch eine schöne Gelegenheit, anderen—und mir selbst—eine Freude zu machen. Auch hier braucht man eine Idee und viel Flexibilität bei der Umsetzung...

JRS Deutschland: Ihr Lieblingsgetränk?

Br. Michael Schöpf SJ: Tamarindensaft. Das ist eine Entdeckung aus meiner Zeit in Brasilien! Herrlich erfrischend.

Das Interview führte Martina Schneider im August 2020

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