P. Stephan Rothlin SJ macht sich dafür stark, das hierzulande oft einseitig negative Urteil über Chinas Wirtschaftspolitik zu überwinden, wie er sagt. Er lebt seit 27 Jahren in China, engagiert sich als Direktor des Macau Ricci Instituts für den internationalen Dialog und lehrt an chinesischen Universitäten in Peking, Hongkong und Macau. Vom Dialog mit China können wir viel lernen, sagt Pater Rothlin. Warum Wirtschaftsethik in China manchmal ernster genommen wird als in Europa und was uns der aktuelle Zollstreit über internationale Beziehungen lehren kann, erklärt er im Interview.
Pater Rothlin, weltpolitisch setzen viele Länder zunehmend auf Abschottung. Sie setzen sich für den internationalen Dialog ein. Was treibt Sie gerade jetzt an?
Weltpolitisch gab und gibt es immer Spannungen. Das Interessante ist, in all diesen Spannungen den Dialog zu suchen, gerade auch mit den Weisheitstraditionen. Im Kontext von China sind das der Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus. Dieser Dialog steht auch in der Tradition des Jesuitenordens: dort hingehen, wo es Spannungen gibt oder der Dialog abzubrechen droht, und das als Chance zur Versöhnung sehen.
Was verbindet über Länder-, Religions- und Kulturgrenzen hinweg?
Das verbindende Element erschließt sich besonders im Alltagsleben. Wenn man die Sprache nicht spricht, besteht eine gewisse Mauer zur anderen Kultur. Wenn man die Sprache spricht, verändert sich, wie man die Menschen erlebt. Man sieht, was uns trotz aller Unterschiede verbindet. Wir brauchen im Umgang, natürlich auch im Geschäftsumgang, Vertrauen. Das ist nichts Spezifisches für einen Kulturkontext, sondern das erlebt man überall.
Was kann solches Vertrauen aufbauen oder stärken?
Eine genuine Wertschätzung. Ich bringe ein ganz simples Beispiel. Ganz zu Beginn meiner Sprachlehre hier in China hat man mir ein völlig verrostetes Fahrrad gegeben. Ich dachte mir, da ist nichts mehr zu machen. Um die Ecke wurde mir das Fahrrad ganz locker in ein paar Sekunden repariert.
Menschen spüren einfach: Kommt man mit einer gewissen Überheblichkeit, weiß man alles besser? Von Beginn an hatte ich eine große Wertschätzung für die chinesische Kultur. Man kann so viel von anderen Leuten lernen – nicht nur an der Uni, sondern überall. Gelingt es, wirklich zuzuhören?
Wo sehen Sie Hoffnungszeichen, dass es wieder mehr Miteinander in den internationalen Beziehungen geben wird?
Ich bin nie für einen billigen Optimismus. Jetzt gibt es so viel Abschottung, auch die momentane Tarifpolitik läuft darauf hinaus. Es ist meine Aufgabe, dass ich an der Uni und den Handelsschulen mit meinen Studierenden ins Gespräch komme und Argumente finde – nicht auf der persönlichen, sondern auf der strukturellen Ebene –, warum wir trotz aller Unterschiede einen gemeinsamen Weg finden sollten. Wenn wir jetzt in einen Handelskrieg abstürzen, leiden darunter sicher nicht die Superreichen, sondern vor allem auch die amerikanischen Konsumentinnen und Konsumenten, für die die Preise in die Höhe schnellen werden.
Wenn es gelingt, diesen Dialog im Alltag zu leben, bei mir zum Beispiel bei Konferenzen oder Seminaren, gibt es viel positives Echo. Dort sehe ich Hoffnungszeichen. Dann wird deutlich: Wir brauchen diesen Dialog.
Neben dem internationalen Dialog ist Wirtschaftsethik Ihr zweiter Forschungsschwerpunkt. Gibt es Hoffnung, dass es mehr gibt als das „Immer mehr“ der Wirtschaft?
Als ich vor 40 Jahren in München studiert habe, gab es in deutschsprachigen Ländern eine starke Kritik an der Wachstumsgläubigkeit. Als ich vor 20 Jahren hier in China angefangen habe, zu publizieren und in Unis zu unterrichten, war dieser Wachstumsgedanke sehr stark. Aus dieser Distanz von 20 Jahren kann man sagen: Jetzt ist so viel klarer, wie verheerend dieses Denken ist. Zum Beispiel beim Thema Umweltverschmutzung: Inzwischen wissen wir, dass es noch viel schlimmer ist – auf der Ebene von Firmen, aber auch von ganzen Ländern.
Inwiefern gibt es dieses Bewusstsein für ethisches Handeln in China?
Wenn sich Amerika im Zuge von Trump von umweltethischen Verpflichtungen verabschiedet, sieht China eine Chance, in diesem Zusammenhang als ernsthafter Partner wahrgenommen zu werden. Hier findet ein Umdenken statt. In China wird die Wirtschaftsethik viel ernster genommen als in Europa. Erst kürzlich gab es wieder neue Bestimmungen, das, was man ‚angewandte Ethik‘ nennt, viel stärker im Unterricht zu berücksichtigen. Natürlich, es gibt Probleme: Wir können nicht ab sofort alle Kohle abstellen. Aber es ist auch im Interesse von China, dass chinesische Firmen als Unternehmen wahrgenommen werden, die wirtschaftsethische Aspekte respektieren, gerade auch in Ländern, in denen die Gesetze das nicht so stark einfordern.
Was motiviert Unternehmen, mehr Wert auf ethisches Handeln zu legen?
Es ist sehr einseitig, nur auf Profitmaximierung zu setzen. Dieser katastrophale Handelskrieg zeigt, was passiert, wenn alles nur auf Konflikt angelegt ist. Wir brauchen ethische Werte, aber es genügt nicht, nur auf Gesetzen zu beharren, denn Gesetze sind einfach zu umgehen. Auf der Ebene von Unternehmen muss man sich fragen: Was sind entscheidende Argumente für ethisches Handeln? Hier kann auch Druck von Konsumenten und Konsumentenbewegungen kommen.
Auch Auszeichnungen für Firmen für ethisches Handeln können eine Wirkung haben und kommunizieren: Es braucht die Verbindung zwischen Unternehmergeist und Ethik. Wir verleihen zum Beispiel den ‚Deignan-Award for Responsible Entrepreneurship‘ für Klein- und Mittelunternehmen in Hong Kong und Macau. Aber in China gibt es auch andere Möglichkeiten. Wir hatten zum Beispiel in der zentralen Parteischule Kurse für angewandte Ethik. Solche Veranstaltungen sind ein wichtiges Signal, dass Ethik nicht nur für einzelne Gruppen gilt, sondern mehr und mehr zu einem Standard wird.
Können wir etwas von China lernen, was das Wirtschaften anbelangt?
Zunächst muss man sich vor Augen führen, dass Chinesen normalerweise viel mehr von Europa kennen als wir von China. Selbst in der akademischen Welt wird China nur am Rande wahrgenommen, zum Beispiel chinesische Philosophie. Das kann sich ändern, wenn wir realisieren, wie viel wir von China lernen können.
Zum Beispiel von der konfuzianischen Ethik. Sie ist eine säkulare Ethik. Wir können auch in Europa bei ethischen Fragen nicht zu stark mit religiösen Themen kommen. Hier bietet die konfuzianische Ethik einen säkularen Zugang. Bei dieser Ethik ist es nicht entscheidend, ob man religiös musikalisch oder unmusikalisch ist, denn es gibt eine gemeinsame Basis der menschlichen Grundwerte von Integrität, Anstand und Wahrhaftigkeit, die uns alle trotz allem verbindet.