Ein Abend zum Weltflüchtlingstag – über die eingeborene Angst vor dem fremden Geschmack (und die Lust, ihn zu entdecken)
Über die Situation von Flüchtlingen und das Zusammenleben der „Anderen“ mit den Zugezogenen hat die Mendelssohn-Gesellschaft für das Programm der Mendelssohn-Remise in den vergangenen Jahren verschiedene Veranstaltungen realisiert: Diskussionen mit Pfarrer Jürgen Quandt, dem Pionier des evangelischen Kirchenasyls in Berlin, mit Vertretern von Behörden und mit Filmbeiträgen und Berichten aus dem JRS. Die Collage aus Essen, Musik, Biographie-Clips und Gespräch am Weltflüchtlingstag war in Kooperation mit dem JRS und der Catering-Chefin Birgitt Claus („eßkultur“) von vorn herein anders angelegt – sinnlicher, persönlicher, ausgerichtet auf die unberechenbare Interaktion zwischen Kopf und Bauch, Herz und Verstand. Mit der Eingangsfrage nach musikalischen und kulinarischen Erinnerungen, die jeden aus der Kindheit, durchs Leben und viele in die Migration begleiten, konnten alle Anwesenden offenbar irgendetwas anfangen: deutsch geborene Berliner wie auch eine Chinesin, Afghanen, Iraner und Äthiopier, die mit ihnen zusammenleben. Das Moderationsgespräch auf der Bühne erweiterte sich schnell ins Auditorium.
Wie allein ist man mit den klassischen Blockflöten-Melodien, die der Vater damals im heute unerreichbaren China immer wieder gespielt hatte? Was erlebt eine iranische Pianistin, die auf einmal gewahr wird, daß Zuhörer mit ihren vorsichtigen Klavier-Improvisationen Empfindungen verbinden und darüber diskutieren? Wieviel Sehnsucht nach einem verlorenen Land verbindet sich mit simplen, exotischen Alltagsgerichten? Und wer hat noch niemals erlebt, daß ihn bestimmte Essensgerüche anekeln?
Zu Trinken gab es Dough, im Springbrunnenhof wurden Okra, äthiopischer Kaffee und persische Kirchererbsen-Plätzchen serviert. Wanderungs- und Überlebensberichte von „Hoffnungs-Menschen“, per Video eingespielt, lieferten dafür den dramatischen Hintergrund. Schließlich erklang, beim Kaffee- und Plätzchen-Finale, das zarte Liebeslied des Iraners Kian. Der Freiraum war für ihn entstanden, so etwas Besonderes preiszugeben. Der Schutzraum dafür schien sich zu öffnen, weil das gemeinsame Essen, Gespräche, Erfahrungsbekenntnisse und Musik die „Einen“ und die „Anderen“ zueinander gebracht hatten. „Jetzt geht ein Engel durchs Zimmer“ hätte man vielleicht in einer sentimentaleren Epoche, vor 200 Jahren, über diesen Moment gesagt.
Dr. T. Lackmann
Fotos: (c) Manfred Fuß