Der Mythos des Wirtschaftswachstums

Was die jährlichen Zahlen zum Wirtschaftswachstum sagen, ist für Politiker und Ökonomen ein großes Thema. Eine wachsende Wirtschaft spricht nicht unbedingt für eine zufriedene Bevölkerung, jedoch für einen unersättlichen Ressourcenverbrauch. Ob „Grünes Wachstum“ eine Lösung ist? Oder muss es in eine ganz andere Richtung gehen? Eine Einschätzung von Pater Klaus Väthröder SJ, Delegat für Soziales und Ökologie in der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten.

Robert F. Kennedy sagte 1968 bei einer Wahlkampfrede in Kansas, einige Wochen bevor er in Los Angeles erschossen wurde, über das Bruttosozialprodukt: „Es erfasst nicht die Gesundheit unserer Kinder, nicht die Qualität ihrer Ausbildung und nicht die Freude ihres Spielens. Es enthält nicht die Schönheit unserer Dichtung und nicht die Stärke unserer ehelichen Bindungen, es enthält nicht die Intelligenz der politischen Diskussionen und nicht die Integrität der öffentlichen Verwaltung. Es misst weder unseren Mut noch unsere Weisheit noch unsere Hingabe zu unserem Land. Kurz gesagt misst es alles bis auf die Dinge, die das Leben lebenswert machen.“

Und doch starren wir Jahr für Jahr auf diese Kennzahl, die den Wert aller Waren und Dienstleistungen misst, die in einem Jahr in einem Land hergestellt werden. Oder besser gesagt: Wir starren auf die Veränderung dieser Kennzahl, auf das wirtschaftliche Wachstum. Wenn es wächst, wächst der Wohlstand, wenn es schrumpft, geht es uns schlechter. So sagen uns zumindest die Politiker und Ökonomen und geben jedes Jahr neue Zielwerte für das Wirtschaftswachstum aus.

Das Wirtschaftswachstum hat großen materiellen Reichtum hervorgebracht. Es hat Menschen aus der Armut befreit, Gesundheit verbessert und Obdach geschaffen. Allen, die genügend Geld haben, hat es ein Leben in Komfort und Vielfalt beschert. Aber misst es unsere Zufriedenheit? Misst es wirklich die Dinge in unserem Leben, die uns wichtig sind?

Inzwischen hat sich die Parallelität zwischen Wirtschaftswachstum und Zufriedenheit zumindest in den reichen Ländern aufgelöst. Der „World Happiness Report“ misst jährlich die Zufriedenheit mit der Lebenssituation der einzelnen Menschen. Bei den unter 30-Jährigen liegt Deutschland derzeit auf Platz 47 und bei den über 60-Jährigen auf Platz 21, obwohl wir die drittstärkste Wirtschaftsnation der Welt sind und beim Durchschnittseinkommen weltweit auf Platz 11 liegen. Wirklich sinnvoll wäre Wachstum heute nur dann, wenn dessen Erträge den am meisten Benachteiligten zugutekämen, national und weltweit.

Ein weiteres Problem des Wirtschaftswachstums ist der weltweite Materialverbrauch. Nach Schätzungen von Experten werden jährlich weltweit circa 100 Milliarden Tonnen Rohstoffe verbraucht, nur sieben Milliarden Tonnen stammen aus Recycling. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe beläuft sich auf über 15 Milliarden Tonnen. Jeder und jede Deutsche verbraucht im Durschnitt etwa 16 Tonnen Rohstoffe im Jahr. Dabei sind Dienstleistungen und Infrastruktur, die für das Alltagsleben erforderlich sind, nicht eingerechnet. Der Verbrauch nach Ressourcen scheint unersättlich und wächst weltweit immer weiter. Auch das hat uns in die multiple Krise aus Erderwärmung, Artensterben und Umweltverschmutzung geführt. Ohne eine Veränderung unserer Weise des Produzierens und Konsumierens werden wir diese Krise nicht lösen.

Auch das attraktive Versprechen eines „Grünen Wachstums“, mit dem wir unsere gesellschaftlichen Strukturen und Verhaltensweisen nicht ändern müssen, scheint sich nicht zu erfüllen. Eine absolute Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch ist praktisch nicht machbar und für eine relative Entkopplung fehlt uns die Zeit. Dafür ist die Klimakrise zu dringlich.

Die Vorherrschaft des Wachstumsparadigmas ist angekratzt. Unsere auf Wachstum, Beschleunigung, Expansion und Wettbewerb ausgerichtete historische Entwicklung kommt an sein Ende und sollte Platz machen für einen Richtungswechsel, für „ein gutes Leben für alle“. Um noch einen US-Amerikaner zu zitieren, den Ökonomen Kenneth E. Boulding, der es bereits 1973 so ausdrückte: „Jeder, der glaubt, exponentielles Wachstum kann andauernd weitergehen in einer endlichen Welt, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.“

Klaus Väthröder SJ

Bild 1: stock.adobe.com/unigraphy

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