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Beichte: Zeit für eine Wiederentdeckung

Die Beichte ist wohl das am stärksten diskreditierte und am wenigsten nachgefragte Sakrament der katholischen Kirche. Warum das so ist und wie man neuen Zugang dazu finden könnte, erklärt der Rektor von Sankt Michael in der Münchner Innenstadt, P. Martin Stark SJ.

Pater Stark, woran liegt es, dass die Beichte als Sakrament so sehr diskreditiert scheint, selbst unter praktizierenden Katholiken?

Das ist irgendwie naheliegend. Mit Beichte haben viele Menschen negative Erfahrungen gemacht in der Kindheit oder später: niederknien vor dem Priester, Sünden bekennen, um Loslösung bitten, und dann lange enorm mit Moral belastet, vor allem, wenn es um sexuelle Themen geht. Ich meine, es ist kein Wunder, dass die Beichte in den meisten katholischen Pfarreien seit Jahrzehnten so gut wie ausgestorben ist. Es fehlt an zeitgemäßen Zugängen.

Gleichzeitig boomt die Psychotherapie, auch zum Thema Schuld.

Ja, gerade auch zum Thema vererbte Schuld, also Themen, die sich zum Teil über Generationen ziehen. Da boomen auch spiritistische Angebote. Geistheiler aller Art werden nachgefragt, die vorgeben, mit wem auch immer Kontakt aufzunehmen, um solche Konflikte zu befrieden. Das ist ziemlich spinnert, aber Menschen scheinen einen Weg und eine Form zu brauchen, mit diesen Themen umzugehen. Das kann auch die Beichte, aber ohne irgendwelche obskuren Geister.

Wenn man einen neuen Zugang zur Beichte sucht, worauf kommt es dabei an?

Vor allem: dass man die Moral beiseitelässt. Es geht bei der Beichte allein um die Gottesbeziehung, nicht um die Wertung des Priesters oder der Kirche nach irgendeinem Katechismus.

Heißt das, dass die Funktion des Priesters gar nicht so sehr im Lossprechen liegt?

Als entlastender, befreiender, befriedender Akt ist die Lossprechung schon wichtig, aber für die Gottesbeziehung. Dass man vor Gott bringt, worin man glaubt, schuldig geworden zu sein, dass man das annimmt und für sich bejaht. Das Aussprechen vor dem Priester ist dafür lediglich ein Hilfsmittel. Er ist nicht dafür da, zu bewerten, sondern im Grunde nur Vermittler.

Ist das Aussprechen also wichtiger als das Lossprechen?

Manchmal scheint es so, und psychologisch ist das absolut nachvollziehbar. Wenn ich etwas zum ersten Mal vor einem anderen Menschen ausspreche, was mich womöglich Jahre oder Jahrzehnte schon belastet, dann ist das ein enorm entlastender Moment. Ich hatte erst gestern eine Art Lebensbeichte. Die Dinge, die der Mann beichtete, hatte er noch niemandem erzählt, da war ganz viel Angst und schlechtes Gewissen dabei. Für den Mann war das ein ganz intensiver, wichtiger und befreiender Schritt.

Was, meinen Sie, haben Sie diesem Mann geboten, damit er sich so öffnen konnte?

Die Beichte ist ein sehr niedrigschwelliges Angebot mit sehr kompetenten Menschen, die einfach nur zuhören, und zu denen man anonym gehen kann, um Dinge, die einen belasten, loszuwerden. So etwas gibt es sonst nirgendwo. Wer hat nicht schon einmal überlegt, wenn er ein seelisch belastendes Thema hatte, mit wem er das wohl besprechen könnte. Mit einem Beichtvater geht das immer, unkompliziert und unverbindlich. Man geht hin und wieder weg, man geht keine längere Bindung ein.

Muss man sich im Beichtstuhl immer noch niederknien?

Nein, das ist auch so eine alte Vorstellung. Wir haben in Sankt Michael seit einigen Jahren sehr schöne, moderne Beichtstühle. Das sind kleine Gesprächskabinen, vollkommen schalldicht abgeschlossen, hell, beheizt, es riecht gut, und wir sitzen uns auf zwei Stühlen gegenüber. Wer knien möchte, kann das aber auch tun, es gibt dafür einen Schemel.

Aber ich muss immer Schuld bekennen, oder?

Es geht nicht darum, sich schuldig zu machen oder sich gar zu kasteien. Und die Moral muss beiseite bleiben. Alle Menschen sind ein Gemisch oder ein Wechsel von Gutem und Schlechtem. Beides gilt es, in den Blick zu nehmen und zu bejahen. Dabei sind wir nicht auf uns allein angewiesen, sondern wir bekommen Erlösung als Gottesgeschenk. Das ist, richtig verstanden, etwas Wunderbares.

Wer kommt zu Ihnen zum Beichten?

Wir haben in Sankt Michael einen recht großen Andrang, gerade in den Wochen und Tagen vor Ostern, da haben wir vier bis fünf Beichtstühle gleichzeitig „in Betrieb“, und es bilden sich sogar Schlangen davor. Aber das ist zum Teil sicher auch Ausdruck des Mangels in vielen Pfarreien. Neue Beichtväter bei uns sind oft überrascht, wie viele junge Leute kommen. Wir haben viele Stammkunden, wenn man das so nennen will, oft aus anderen Kulturkreisen. Es wird bei uns nicht selten auf Englisch gebeichtet.

Und was beichten die Menschen?

Viele Themen drehen sich um Partnerschaft und Sexualität, den Umgang mit Pornografie etwa, da gibt es durchaus suchtähnliches Verhalten. Darüber kommen alle Themen des Lebens vor, in denen man schuldig werden kann. Nicht selten werden Dinge gebeichtet, wonach andere an einem selbst schuldig geworden sind, da geht es um die Aufarbeitung einer fremden Schuld. Wenn zum Beispiel Frauen von erfahrenem Missbrauch berichten, ist eigentlich nichts zu beichten, aber durch die Beichte finden diese Menschen einen Frieden mit dem Erlebten und Versöhnung. Ich segne sie dann, statt sie loszusprechen.

Haben Sie Tipps für Anfänger oder Wieder-Anfänger mit dem Beichten?

Einfach ausprobieren, es ist gar nicht schwer! Gegenüber sitzt ein Profi, der helfen wird, wenn man nicht weiter weiß. Man muss auch nicht wahnsinnig gut vorbereitet sein, obwohl manche Leute Listen herausholen oder sie auf dem Handy dabeihaben. Wir können die wichtigen Themen auch miteinander im Gespräch finden, wir haben Zeit – wenn auch nicht gerade in der Woche vor Ostern und vor Weihnachten. Ein zweiter Tipp wären die Angebote um die Beichte herum, die wir und die auch viele Pfarreien anbieten: Bußgottesdienste in Gemeinschaft, das finde ich, ergänzend zur Einzelbeichte, eine sehr schöne Form. Wir haben auch bestimmte Themenabende in Sankt Michael, zu Sünde etwa.

Hören Sie die Beichte eigentlich gern oder ist das ein notwendiger Pflichtdienst?

Ich mache das sogar sehr gern! Für mich ist Beichte-Hören wie Beten, ich bin dann mit diesen Menschen und ihren Anliegen direkt vor Gott.

Gibt es auch noch Buße für die gebeichteten Sünden?

Formal ja, aber nicht in Form von 20-mal das Vaterunser beten oder so. Ich ermutige die Menschen zu Gebet, um ihren Blick von den Themen, die sie gebeichtet haben, auf Gott zu richten, und in diese Beziehung hineinspüren. Das ist dann eigentlich keine Buße, sondern etwas Wunderbares.

Interview: Gerd Henghuber

Zur Person:

Martin Stark SJ

Martin Stark SJ ist als Theologe und Journalist 2002 in den Jesuitenorden eingetreten und wurde 2007 zum Priester geweiht. Von 2006 bis 2012 leitete er den Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) Deutschland. Nach seinem Tertiat in Manila/Philippinen war er von 2013 bis 2019 und von 2020 bis 2021 Socius des Provinzials der deutschen Jesuiten. Bis 2022 war er für Kommunikation & Fundraising zunächst für die Deutsche und später für die Zentraleuropäische Provinz der Jesuiten verantwortlich. Seitdem ist er Kirchenrektor von St. Michael in München und Oberer der dortigen Jesuitenkommunität.

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