Auch der JRS hat den Appell gegen eine Verschärfung des Asylrechts unterzeichnet. Stefan Keßler nimmt im Interview mit dem Domradio hierzu Stellung.
Nach dem Attentat von Solingen wird der Ton in der deutschen Debatte um Migrationspolitik immer schärfer. Jetzt warnen 27 Organisationen zusammen vor Einschränkungen im Asylrecht, darunter auch der Jesuiten-Flüchtlingsdienst.
Autor/in: Hilde Regeniter
DOMRADIO.DE: Was ist der Kern des Aufrufs, den auch der Jesuiten-Flüchtlingsdienst mitunterzeichnet hat?
Stefan Keßler (Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland): Anlässlich des für den heutigen Dienstag geplanten "Migrationstreffens" zwischen Bundesregierung, Ländern und Union sowie des von der Bundesregierung vorgeschlagenen "Sicherheitspaktes" fordern wir gemeinsam mit 26 anderen Organisationen vor allem von der Bundesregierung eine Politik ein, die den Schutz der Menschenrechte ernst nimmt.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt kann nur dann gelingen, wenn nicht einzelne Gruppen aus unserem Zusammenleben hinausgedrängt werden. Gerade der Schutz von Menschen, die vor Verfolgung, Gewalt und Not geflohen sind, gehört zu dem Wertekanon unserer Republik, der nicht aufgegeben werden darf.
DOMRADIO.DE: CSU-Chef Söder hat gerade wieder einmal gefordert, Migration drastisch zu reduzieren und will dafür Schutzsuchende bereits an den Grenzen zurückweisen. Warum ist das nach Ihrer Auffassung kein geeigneter Weg?
Keßler: Die Verwirklichung solcher Vorschläge würden zu eindeutigen Verletzungen der Menschenrechte führen. Sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention als auch die Europäische Menschenrechtskonvention und andere Menschenrechtsabkommen verbieten eine solche einseitige Abschottung einzelner Staaten oder Regionen. Wer Schutz sucht, hat einen Anspruch darauf, dass sein Schutzbedürfnis im Rahmen eines fairen Verfahrens geprüft wird. Das ist an der Grenze nicht möglich.
DOMRADIO.DE: Migration macht offensichtlich vielen Menschen in Deutschland Angst, durch den Anschlag von Solingen sehen sie manche in ihrer Sorge bestätigt. Was sagen Sie diesen Leuten?
Keßler: Die Diskussion krankt daran, dass nur über Flüchtlinge gesprochen wird, ohne die einzelnen Menschen in den Blick zu nehmen. Dabei hat schon Papst Franziskus gefordert, dass der einzelne Mensch im Mittelpunkt stehen muss und nicht eine anonyme "Masse". Er hat gesagt: "Und doch darf man nie vergessen, dass die Migranten an erster Stelle nicht Nummern, sondern Personen sind, Gesichter, Namen und Geschichten."
Von den Flüchtlingen, denen der Jesuiten-Flüchtlingsdienst in der täglichen Arbeit begegnet, können wir viel lernen, vor allem im Hinblick auf das Durchhaltevermögen. Zu diesen Menschen gehört etwa Shahid. Er ist im Jahr 2015 vor der Verfolgung wegen seines Glaubens aus Pakistan nach Deutschland gekommen. Ganz allein, ohne Familie, ohne seine inzwischen erwachsenen Kinder. Mit im Gepäck aber hatte Shahid seinen christlichen Glauben, einen unerschütterlichen und treuen Begleiter, der ihm bei allen Widrigkeiten in ungewohnter Umgebung zur Seite stand und steht. Sein Glaube ist für ihn überdies eine stabile Grundlage dafür, in einer fremden Stadt, fern der Heimat und der Familie, ein neues Zuhause und Anschluss zu finden.
In einer katholischen Kirchengemeinde ist Shahid einer der Erwachsenministranten. Einer, auf den Verlass ist. Er strahlt, wenn er – meist zu den Sonntagabendmessen – die Sakristei betritt. Weil er sich auf "seinen" Dienst am Altar freut – und vielleicht auch, weil er dazugehört. Die anderen Ministranten sind froh, ihn in ihren Reihen zu haben.
Das Beispiel von Menschen wie Shahid macht uns bewusst, worum es geht. Das Eintreten für den Schutz und die Rechte von Verfolgten und anderen Menschen in Not ist konservativ und progressiv zugleich: Konservativ, weil wir damit Mitmenschlichkeit und Solidarität bewahren. Und progressiv, weil wir eine Gesellschaft anstreben, in der alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft die gleichen Rechte genießen.
DOMRADIO.DE: Wie stark wird Ihrer Meinung nach die Asyl- und Migrationspolitik gerade von den einzelnen Partien instrumentalisiert, um dem vermeintlichen Wählerwillen zu entsprechen?
Keßler: Es ist tatsächlich eine gefährliche Tendenz festzustellen, sowohl die Flüchtlings- als auch die Migrationspolitik nur noch unter dem Gesichtspunkt zu betreiben, was in der aktuellen veröffentlichten Stimmung am meisten Stimmen bringen könnte. Gerade die vielen Menschen, denen ein anständiger Umgang mit Schutzsuchenden ein Anliegen ist, werden dabei außer Acht gelassen. Politik sollte sich an Grundwerten orientieren und nicht an tagesaktuellen Umfrageergebnissen.
DOMRADIO.DE: Die Ampel steht angesichts verheerender Umfragewerte unter enormem Druck, ihren Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik weiter zu verschärfen. Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem gemeinsamen Appell da überhaupt etwas bewirken können?
Keßler: Wir hoffen, dass wir mit diesem Appell, den immerhin innerhalb weniger Tage 27 große Organisationen unterschrieben haben, deutlich machen können, dass nicht die gesamte deutsche Gesellschaft populistischen Parolen hinterherläuft, sondern von der Politik einfordert, was ihr Job ist: Gestaltung einer Gesellschaft, die auf Menschenrechte, Gleichberechtigung und Zusammenhalt gegründet ist.
Das Interview führte Hilde Regeniter.