Papst Franziskus machte seine erste Reise als Papst auf Lampedusa. Was er dort am 8.7. 2013 in der Predigt sagte, stellt die Sorge um die Menschen in Not ins Zentrum der Spiritualität der abrahamitischen Religionen:
… „Adam, wo bist du?“, „Wo ist dein Bruder?“ sind die zwei Fragen, die Gott am Anfang der Geschichte der Menschheit stellt und die er ebenso an alle Menschen unserer Zeit, auch an uns richtet. Ich möchte aber, dass wir eine dritte Frage anfügen: „Wer von uns hat darüber und über Geschehen wie diese geweint?“ Wer hat geweint über den Tod dieser Brüder und Schwestern? Wer hat geweint um diese Menschen, die im Boot waren? Um die jungen Mütter, die ihre Kinder mit sich trugen? Um diese Männer, die sich nach etwas sehnten, um ihre Familien unterhalten zu können? Wir sind eine Gesellschaft, die die Erfahrung des Weinens, des „Mit-Leidens“ vergessen hat: Die Globalisierung der Gleichgültigkeit hat uns die Fähigkeit zu weinen genommen! Im Evangelium haben wir das Geschrei, das Weinen, das laute Klagen gehört: „Rahel weinte um ihre Kinder … denn sie waren dahin“ (Mt 2,18). Herodes säte Tod, um sein eigenes Wohl zu verteidigen, seine Seifenblase. Und dies wiederholt sich weiter … Bitten wir den Herrn, dass er austilge, was von Herodes auch in unserem Herzen geblieben ist; bitten wir den Herrn um die Gnade, über unsere Gleichgültigkeit zu weinen, zu weinen über die Grausamkeit in der Welt, in uns, auch in denen, die in der Anonymität sozioökonomische Entscheidungen treffen, die den Weg bereiten zu Dramen wie diesem. (https://www.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130708_omelia-lampedusa.html)
Die Dringlichkeit, die dadurch gegeben ist, dass Menschen in äusserster Not Hilfe und Unterstützung brauchen, damit sie zuerst aus akuter Lebensgefahr herausfinden, dann aber auch sobald wie möglich selbst wieder in die Lage kommen, selbst an einer langfristigen Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu bauen, ist nicht nur ein ethischer Appell, sondern auch eine spirituelle Herausforderung. Wie können wir trotz aller Gefühle von Überforderung und Ohnmacht, beherzt und entschlossen zur Rettung und zur Schaffung von menschenwürdigen Lebensbedingen für diejenigen Beitragen, die alles zurücklassen mussten? Nur unser aufrichtiges Engagement für die Veränderung dieser Verhältnisse macht alles Reden und Lehren glaubwürdig. Pedro Arrupe hatte aus dieser Erkenntnis Konsequenzen gezogen, als er 1980, Angesichts des Elends der vietnamesischen Boatspeople die Gründung des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes forderte. (Vgl. www.jesuits.global/2024/11/14/honouring-fr-pedro-arrupe-sj-visionary-founder-of-jrs/ )
Für eine am Evangelium orientierte Spiritualität gilt das Paradox einer Umkehrung: Die Helfenden sind die Beschenkten. Auch wer traumatisiert und mittellos von irgendwoher bei uns ankommt, bringt Erfahrungen und Fähigkeiten mit, die unsere Gesellschaft bereichern können. Aber nicht nur das. Mit der schlichten Anwesenheit als Menschen mit unantastbarer Würde, fordern Geflüchtete in uns die Praxis der Gastfreundschaft heraus und bringen somit das Beste von uns selbst zur Entfaltung. Und nicht nur das. Aus christlicher und kirchlicher Sicht, sind wir gerufen und gesandt, Zeugen der frohen Botschaft für die ganze Welt zu sein. In der Begegnung mit Menschen, die ihren guten Glauben mitbringen, sind auch sie Botinnen und Boten für uns. Klassisch ausgedrückt gilt es, das Reich Gottes gemeinsam zu entdecken? Oder mit Carmen Lussi zur Identität von Kirche gesagt:
Es ist nicht die Pfarrei, die den Migranten aufnimmt, sondern vielmehr umgekehrt: Die Aufnahme des Migranten, des Reisenden oder Pilgers auf ihren Straßen macht die Pfarre erst zu einer solchen. (Lussi, Carmen: Die Mobilität der Menschen als theologischer Ort, in: Concilium 44/2008, 552.)
accompany-serve-advocacy ist nicht ein zufällig gewählter Dreischritt. Die drei Stichworte sind Ausdruck und Konkretisierung der partnerschaftlichen Haltung in unterstützenden Beziehungen, die der Sendung der Jesuiten zugrunde liegt.
Immer geht es darum, herauszufinden, welche Schritte jeweils hilfreicher sind. Das soll, soweit es möglich ist, auf Augenhöhe mit den Menschen geschehen, denen wir unsere Hilfe anbieten. Darum geht es im ersten Schritt um ein Mitgehen, Begleiten, accompany. Erst im (gegenseitigen) Kennen lernen entsteht die Basis auf der dann auch klar werden kann, welche Schritte anstehen und wie eine allfällige Unterstützung der Betroffenen aussehen könnte, so dass diese Selbst Akteur:innen für ihr Leben bleiben. Bei advocacy, Fürsprache, Verteidigung geht es um die Frage, wie Benachteiligte überhaupt Zugang zu ihren Rechten finden. Es geht um die Konkretisierung des Grundsatzes, des Rechts eines jeden Menschen, Rechte zu haben.
Die spirituelle Verwurzelung ist eine theologische Vergewisserung des Glaubens an das göttliche Wirken zum Glück und Heil eines jeden Menschen. Gottes Mitgehen, Dienst und Rechtfertigung, die sich im Leben eines jeden Menschen auf je einzigartige Weise verwirklichen. Und wir haben Teil an diesem Wirken, wo wir uns in diesem Horizont für andere und mit anderen einsetzen.