Das Nothilfe-System

Nothilfe bezieht sich ursprünglich auf Artikel 12 der schweizerischen Bundesverfassung: 

Recht auf Hilfe in Notlagen

Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. (Bundesverfassung, Art. 12)

 

Seit 2008 wird dieser Artikel im Asylwesen angewendet, um den Umgang mit abgewiesenen Asylsuchenden zu definieren. Das so genannte Nothilfe-System bedeutet in den Augen der Behörden einen Kompromiss, um zu erfüllen, was BV Art. 12 fordert: Dass nämlich Menschen, die in der Schweiz weder wohnen noch Geld verdienen dürfen, dennoch ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen haben. In der Erfahrung der Betroffenen bedeutet es die widersprüchliche Botschaft: „Ich darf mich in der Schweiz zwar nicht aufhalten, aber wenn ich da bin, wo man mich hin platziert, erhalte ich ein Bett, Kleider, und Essen.‟

 

Im Kanton Zürich befinden sich Nothilfe-Sammel-Unterkünfte in nicht mehr brauchbaren Schulhäusern, verlassenen Gasthäusern, Container-Siedlungen oder unterirdischen Bunkeranlagen. 

Vorausgesetzt sie unterschreiben regelmässig im Camp (im Kanton Zürich z.B. zweimal täglich), erhalten Nothilfe-Betroffene CHF 10.- pro Tag. Das muss für alles reichen: Essen, Kleider, Hygiene, Mobilität… Doch allein schon die Hin- und Rückfahrt in die Stadt kostet im ÖV um die neun Franken. Zur schwierigen Wohnsituation mit fehlender Privatsphäre, kommt die soziale Isolation, Perspektivenlosigkeit und die ständige Angst vor Verhaftung und Ausschaffung. 

 

Humanitäre NGOs schätzten im Jahr 2020 die Zahl der auf Nothilfe angewiesenen Asylsuchenden auf 6500 Menschen, darunter auch über 1000 Kinder. (vgl. Urs Ruckstuhl u.a., Abgewiesene Asylsuchende in der Schweiz – eine verzweifelte Situation, in Medicus Mundi Schweiz: www.medicusmundi.ch/de/advocacy/publikationen/med-in-switzerland/abgewiesene-asylsuchende-in-der-schweiz-eine)

 

Die eben genannte Studie beschreibt auch ausführlich, welche gesundheitlichen Folgen die Langzeit-Nothilfe für die Betroffenen hat. Viele dieser abgewiesenen Asylsuchenden leiden nicht nur unter der belastenden Situation der Nothilfe. Sie sind schon als traumatisierte Menschen in die Schweiz gekommen. Für traumabelastete Menschen ist der Jahre anhaltende Schwebezustand in der Nothilfe noch schwerer zu ertragen. 

Übrigens: Oft spielen die erlebten traumatischen Erfahrungen auch eine schlechte Rolle im Asylverfahren. Bei den Anhörungen auf dem Staatssekretariat für Migration (SEM) sind sie nämlich aus psychischen Gründen oft nicht in der Lage, für ihre Traumata schon eine Sprache zu haben. Das führt dazu, dass genau die Geschehnisse, die vom SEM eigentlich als Fluchtgründe die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zur Folge hätten, nicht angesprochen oder nicht genügend kohärent erzählt werden, und dann vom SEM als unglaubhaft eingestuft wird.

Die Frage nach Alternativen

Das Nothilfe-System für abgewiesene Asylsuchende ist für die Betroffenen selbst, wie auch für die gesamte Gesellschaft keine gute Antwort auf die Frage, wie Asylsuchende mit negativem Asylentscheid behandelt werden sollten. Welche alternativen Möglichkeiten gäbe denn auch noch? 

„Lassen Sie uns ein wenig träumen: Wie sähe eine Politik aus, die nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird? Die Solidarität und Hilfsbereitschaft vieler Menschen aus der Zivilgesellschaft würden geschätzt und gefördert. Manche Geflüchtete wären länger darauf angewiesen, andere würden sich recht schnell in unserer Gesellschaft zurechtfinden. Junge, hochmotivierte Leute, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und es bis hierher geschafft haben, könnten zum Beispiel vom ersten Tag nach ihrer Ankunft gefördert werden. Sie könnten möglichst bald einen Beruf lernen und eine der zahllosen offenen Stellen für die gesuchten Fachkräfte annehmen. Und wenn die Situation in ihren Herkunftsländern eine Rückkehr erlauben wird, werden viele nicht zögern, ihr Wissen und Können auch zum Aufbau ihres Landes einzusetzen.‟ (Christoph Albrecht, in: https://jesuiten-weltweit.ch/fileadmin/Dateien/Uploads/Jesuitenmagazin_03-25.pdf, s. 4-7)

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